«Puls» hat Tanja Tissi dabei begleitet, wie sie ihre hörbehinderten Schützlinge auf ihren grossen Advent-Auftritt vorbereitet. Selbst in Wollishofen zur Schule gegangen, kann sich die 50-Jährige noch gut daran erinnern, wie es damals für sie war, in der Öffentlichkeit zu gebärden. Im Gespräch mit «Puls» – übersetzt von Gebärdensprachdolmetscherin Gaby Hauswirth – hält sie Rückschau:
Früher tabu, heute normal
«Als Kind habe ich mich immer sehr geschämt», erinnert sich Tissi. «Ich hätte mich nie getraut, in der Öffentlichkeit zu gebärden. Das war ein Tabu.» Das sei heute nicht mehr so.
«Es gibt auch immer mehr gehörlose Erwachsene, die hier an unserer Schule unterrichten. Da wird das Gebärden zu einer Selbstverständlichkeit. Und auf der Strasse fangen gehörlose Kinder auch schon mal von sich aus an, mit hörenden Kindern zu gebärden.» Die seien dann vielleicht im ersten Moment ein wenig irritiert – das ist dann aber auch schon alles.
Die Welt erschliesst sich durch die Augen
Beim Unterrichten fällt Tanja Tissi immer wieder auf, welchen Stellenwert das Sehen gerade für hörbehinderte Kinder hat. «Sie sind sehr visuelle Geschöpfe, nehmen über die Augen wahnsinnig viel wahr. Hörbehinderte Kinder haben ein grosses Bedürfnis, die Welt mit ihren Augen zu erfahren. Wenn sie beispielsweise neue Gebärden lernen, beobachten sie sehr genau, suchen sich sofort das passende Bild dazu, oder sie überlegen, welche Gebärde zu einem bestimmten Bild passen könnte.»
Grundsätzlich begreifen hörbehinderte Kinder sehr schnell und sind sehr wach. Es gibt aber natürlich Unterschiede: «Der Zugang zur Gebärdensprache ist auch sehr stark vom privaten Umfeld abhängig», weiss Tissi. «Gehörlose Kinder von gehörlosen Eltern haben im Allgemeinen einen sehr schnellen Zugang zur Gebärdensprache.» Kinder von hörenden Eltern oder Kinder mit einem Cochlea-Implantat (CI) hätten manchmal mehr Mühe und bräuchten etwas länger.
«Wieso hast Du kein Hörgerät?»
Tanja Tissi trägt selbst weder ein Hörgerät noch ein Implantat. Darauf sprechen sie immer wieder auch ihre Schüler an: «Die Kinder fragen mich immer wieder, wieso ich kein Hörgerät habe. Ich erkläre ihnen dann, dass sie als Erwachsene auch selber entscheiden können, ob sie ein Hörgerät tragen wollen oder nicht.»
Der in den letzten Jahren markant zugenommenen Verbreitung von Cochlea-Implantaten steht Tissi denn auch durchaus kritisch gegenüber: «Ich denke, die Kinder müssen zunächst einmal den Zugang zur Gebärdensprache finden, weil sie diese sehr gerne lernen. Es ist ein visueller Ausdruck, der ihnen sehr einfach zugänglich ist.»
Mühe bekundet sie auch mit der strikten Unterscheidung zwischen Gehörlosen ohne Hörhilfen und Hörbehinderten mit Hörgeräten oder CI. «Wenn ich sehe, wie gehörlose Kinder mit CI versehen in Schulklassen mit hörenden Kindern integriert werden und dadurch gar keinen Zugang mehr zu anderen hörbehinderten Kindern bekommen, macht mich das traurig. Wir sollten alle gemeinsam den Weg gehen!»
An der Schule in Wollishofen fallen Kinder mit Hörgeräten oder CI nicht auf, da viele damit herumlaufen. «Unsere Logopäden und Lehrer schauen sich die Hörgeräte und CI aber immer wieder bewusst mit den Kindern an. Das ist natürlich schon ein Schwerpunkt im Umgang mit ihrer Hörbehinderung», betont Tanja Tissi. «Die Geräte werden auch regelmässig getestet. Sobald die Kinder aber untereinander sind, vergessen sie ihre Apparate, es ist ihnen einfach egal.»
Vier Tipps zum besseren Verständnis
Darauf sollten Hörende bei der Kommunikation mit Gehörlosen achten:
- Hochdeutsch sprechen
- Klar mit den Lippen artikulieren
- Langsam reden
- Kurze und einfache Sätze verwenden