Emily war sechs Jahre alt und todkrank. Ihre Diagnose: eine unheilbare, fortgeschrittene Leukämie, bei der bereits Leber, Milz und Knochenmark befallen waren. Nichts half mehr. Auch mehrere Chemotherapien und Bestrahlungen nicht.
Dann kam 2012 Carl June, Immunologe an der Universität von Pennsylvania, mit einer radikalen Idee: Emilys T-Zellen gentechnisch im Labor so umzuprogrammieren, dass diese danach als «Super-Killerzellen» den Tumor selbst bekämpfen.
Im April 2012 war Emily Whitehead das erste Kind, das mit einer sogenannten CAR-T-Zelltherapie behandelt wurde. Am Anfang ging es ihr noch viel schlechter. Doch dann geschah das Unglaubliche: «Sie wachte aus dem Koma auf und der Krebs war weg», sagt June. Heute, 13 Jahre später, ist sie eine gesunde, junge Frau und studiert.
Vater der CAR-T-Zelltherapie
Für seine Pionierarbeit hat Carl June letzte Woche in Bern den Wissenschaftspreis der schweizerisch-italienischen Balzan-Stiftung erhalten, der mit 750’000 Franken dotiert ist. 2010 hatte er zusammen mit einem grossen Team erstmals mit CAR-T-Zellen einen erwachsenen Leukämie-Patienten therapiert.
Bei dem 64-jährigen, pensionierten Gefängniswärter Bill Ludwig hatten ebenfalls alle Therapien zuvor versagt. Er hatte deshalb schon seine Beerdigung bezahlt gehabt. Auch Ludwig wurde zuerst viel kränker, aber vier Wochen nach der Infusion der veränderten T-Zellen hatte er keine Leukämie mehr.
«Ich konnte es nicht glauben», erinnert sich June. Sie hätten sogar noch eine zweite Biopsie auf der anderen Seite seines Knochenmarks gemacht – aber auch dort seien keine Krebszellen mehr gewesen. Ludwig starb elf Jahre später an einer Covid-19-Infektion. «Weltweit hat die CAR-T-Zelltherapie bereits zehntausende Leben gerettet», sagt June.
Seit 2019 ist die Therapie auch in der Schweiz zugelassen, vor allem für aggressive Blutkrebsarten wie Lymphdrüsenkrebs, Knochenmarkkrebs oder akute lymphatische Leukämie. Dies sind alles Krebserkrankungen, bei denen eine bestimmte Art von weissen Blutkörperchen entartet ist und bei der sich der Tumor mit herkömmlichen Methoden nicht mehr in den Griff bekommen lässt.
«Rund 200 Krebskranke werden hierzulande pro Jahr damit behandelt», erklärt Dominik Schneidawind vom Universitätsspital Zürich. Etwa ein Drittel bleibt dauerhaft krebsfrei – zwei Drittel erleiden jedoch auch Rückfälle. Wie gut die CAR-T-Zelltherapie wirke, hänge auch davon ab, in welchem Zustand die Patientinnen und Patienten in die Behandlung gehen würden.
Boom an klinischen Studien
Die CAR-T-Zelltherapie ist komplex und teuer – mehrere Hunderttausend Franken pro Infusion. Leider würden aber nicht alle gesund werden, sagt Schneidawind. Umso mehr freue er sich, wenn die Behandlung tatsächlich einen Wendepunkt im Krankheitsverlauf darstelle. Zum Beispiel bei einer jungen Frau Mitte 30, die danach eine Familie gründen konnte. «Es war einfach schön zu sehen, dass sie wieder ganz normal im Leben ankam – beruflich und privat.»
Rund um den Globus laufen derzeit über 1500 klinische Studien, auch für solide Tumoren wie etwa Bauchspeicheldrüsenkrebs. Zudem könnten CAR-T-Zellen künftig vielleicht auch diverse Autoimmunerkrankungen bekämpfen. «Je breiter die Anwendung», sagt June, «desto günstiger und effizienter wird auch die Herstellung.»