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Infektionen kommen häufig vor Bahnbrechende Studie zeigt, wo Spitalkeime herkommen

Spitalinfektionen kommen häufig vor, obwohl in den OP-Sälen penibel auf sterile Abläufe geachtet und die Infektionsprävention grossgeschrieben wird. Eine neue Studie legt nun nahe, dass viele Infektionen gar nicht von mangelhafter Spitalhygiene herrühren. Ihren Ursprung haben sie anderswo.

Um Wundinfektionen nach chirurgischen Eingriffen zu verhindern, betreiben Spitäler einen grossen Aufwand. Eine der wichtigsten Massnahmen ist die Antibiotika-Prophylaxe: «Zirka 30 Minuten vor dem Hautschnitt bekommen Patienten durch die Vene ein vorbeugendes Antibiotikum verabreicht», erklärt Ralph Schär, Leiter der Wirbelsäulenchirurgie am Inselspital Bern. Dies sei ein weltweites Standardverfahren in der Chirurgie und eine der wichtigsten Massnahmen gegen postoperative Infektionen.

Den Spitalkeimen auf der Spur 

Trotzdem: Die ganze Palette von Abwehrmassnahmen reicht nicht aus, um gefährlichen Keimen den Garaus zu machen. Woher also kommen die Keime überhaupt?

Diesem Rätsel ist ein Forschungsteam um den Mediziner Dustin Long an der Washington University nachgegangen. Der Fokus ihrer kürzlich publizierten Studie : die Hautflora der Patientinnen. «Schon frühere Studien nahmen das Bakterium Staphylococcus aureus ins Visier, das sich beim Menschen hauptsächlich auf der Haut ansiedelt», sagt Long. Dabei habe es erste Hinweise gegeben, «dass der eigentliche Ursprung chirurgischer Infektionen der Patient selbst sein könnte.» 

Das Mikrobiom der Haut

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Die Haut des Menschen ist nicht «rein», wie man sich das beim morgendlichen Duschen vielleicht vorstellt.

Sie ist mit Milliarden von Keimen besiedelt, die sich in den verschiedenen Hautschichten aufhalten und vermehren. Hauptsächlich sind dies Bakterien und Pilze. Viele dieser Mikroorganismen sind wichtig für eine gesunde Haut, unter anderem hindern sie krankmachende Keime daran, sich auszubreiten.

«Hautflora» heisst diese Gesamtheit von Mikroorganismen, man spricht auch vom «Mikrobiom der Haut»

Für ihre Studie nahm sich das Team um Dustin Long das Mikrobiom von gut 200 Personen vor, die sich einer Wirbelsäulenoperation, einer sogenannten Rückenversteifung, unterzogen. Mit modernster Sequenziertechnologie untersuchten sie sämtliche Bakterien, die sie vor der Operation auf den Hautpartien entlang der Wirbelsäule fanden. In denjenigen Fällen, wo es zur postoperativen Infektion kam, nahm das Forschungsteam Proben vom Infektionsherd und verglich diese mit den Hautproben. 

Viele Bakterien unserer Hautflora sind resistent gegen die vorbeugenden Antibiotika, die wir den Patienten unmittelbar vor dem Eingriff in die Vene spritzen.
Autor: Dustin Long Notfallmediziner und Hauptautor der Studie

«Über 80 Prozent dieser Infektionen deckten sich mit jenen Bakterien, welche die Haut der Patienten vor dem Eingriff besiedelten», erzählt Dustin Long. Darunter auch Bakterien, die man gar nicht auf der Haut erwartet habe, «zum Beispiel Escherichia-coli-Bakterien, die man eher zur Darmflora zählt.» 

Elektronenmikroskop-Aufnahme von gelben und blauen Zellen.
Legende: Das digital kolorierte Mikroskopbild zeigt Staphylococcus aureus-Bakterien in Gelb. Keystone / AP NIAID

Anders gesagt: Die Patientinnen und Patienten infizieren sich während der Operation mehrheitlich mit den eigenen Hautbakterien. Und bei diesen gibt es ein Problem: «Viele Bakterien unserer Hautflora sind resistent gegen die vorbeugenden Antibiotika, die wir den Patienten unmittelbar vor dem Eingriff in die Vene spritzen.» In ihrer Studie bezifferten Dustin Long und Kollegen den Anteil resistenter Keime auf 59 Prozent. 

Was die neue Studie zum Gamechanger macht 

Der Wirbelsäulen-Chirurg Ralph Schär vom Inselspital Bern hält die neuen Studienresultate für wegweisend, gar einen möglichen «Gamechanger»: «Sie stellen die Präventionsmassnahmen in den OP-Sälen weltweit infrage.» Für Schär steht fest, dass die Antibiotika-Prophylaxe individualisiert werden muss. 

Sprich: von Fall zu Fall von der Hautregion, die chirurgisch eröffnet wird, einen Abstrich machen und dessen Mikrobiom bestimmen. 

Infektionsüberwachung von Swissnoso 

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Schätzungen zufolge erleiden in der Schweiz – je nach Operationsart – 1 bis 20 Prozent der Patienten nach chirurgischen Eingriffen eine postoperative Wundinfektion (englisch SSI – Surgical Site Infection). Im Durchschnitt erleidet jede 30. Person eine solche Infektion, in der Schweiz wie auch in anderen Ländern. Infektionen verursachen längere Spitalaufenthalte, höhere Kosten und schlimmstenfalls Todesfälle. 

Um ihnen entgegenzuwirken, werden Infektionen deshalb akribisch dokumentiert und überwacht, in sogenannten Surveillance-Systemen. In der Schweiz ist das Nationale Zentrum für Infektionsprävention Swissnoso für die «SSI Surveillance» zuständig. Dies tut Swissnoso im Auftrag des nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken. Swissnoso schult Spitäler auch in bestimmten Massnahmen, mit dem Ziel, die Infektionsrate in der Schweiz weiter zu senken. Dazu gehört zum Beispiel, vor Eingriffen mit Implantaten Staphylococcus-aureus-Bakterien zu eliminieren. «Allein diese Massnahme kann die Infektionsrate bei der Implantatchirurgie um 50 Prozent senken», sagt die Infektiologin Delphin Berthod, fachliche Leiterin der SSI Surveillance bei Swissnoso. 

Die Idee, die Infektionsprophylaxe künftig zu individualisieren und auf das Mikrobiom des einzelnen Patienten abzustimmen, findet Berthod grundsätzlich interessant. Doch sie gibt zu bedenken, dass der Aufwand für diese Massnahme sehr gross und die entstehenden Kosten wahrscheinlich nicht zu bewältigen seien.

Ob es eine solche personalisierte Infektionsprophylaxe in der Schweiz irgendwann geben wird, ist nicht absehbar. Doch am Harborview Medical Center in Seattle, wo Dustin Long als Notfallmediziner arbeitet, werden die Erkenntnisse bereits in die Praxis umgesetzt: Man fokussiere bei der Prävention nun mehr aufs Individuum – und investiere dort die Energie.

Wissenschaftsmagazin, 13.04.2024, 12:40 Uhr

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