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«Manche Patienten haben seit Jahren keine MS-Symptome mehr»

Dr. Denis Fedorenko vom A.A. Maximov Center in Moskau ist überzeugt von der Stammzell-Transplantation im Kampf gegen die Multiple Sklerose.

«Puls»: Erst das Immunsystem mittels Chemotherapie zerstören und anschliessend mit vorgängig entnommenen körpereigenen Stammzellen das Abwehrsystem neustarten: Wie kommt man auf so eine Idee?

Experten-Chat

Denis Fedorenko: Hämatologen haben Krebskranke behandelt, die gleichzeitig noch an einer Autoimmunkrankheit wie Multiple Sklerose erkrankt waren. Dabei haben sie festgestellt, dass bei einer Reihe dieser Patienten das Fortschreiten der MS stoppte, nachdem ihre Leukämie mit heutigen Standardmethoden wie einer Chemotherapie und anschliessender Stammzelltherapie behandelt worden war.

Wie lässt sich das erklären?

Die Methode basiert auf der hochdosierten Chemotherapie innerhalb kurzer Zeit: Die Chemotherapie zerstört das fehlerhaft arbeitende Immunsystem, die Transplantation der blutbildenden Zellen danach startet das Immunsystem neu.

Zur Person

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Denis Fedorenko ist Hämatologe und Spezialist für Autoimmunerkrankungen und Transplantationen am A.A. Maximov Center in Moskau. Er führt auch die HCST (hematopoietische Stammzell-Transplantation) durch. Neben Russland bieten auch Zentren in Deutschland, Schweden, Israel, Italien und einige mehr die Behandlung an.

Eine Krebstherapie also zur Behandlung der Multiplen Sklerose – ist das nicht extrem belastend und gefährlich für die Patienten?

In der Onkologie gilt in der Regel: je aggressiver die Behandlung, desto grösser der Erfolg. Wenn wir Krebs behandeln, geht es darum, den Menschen zu retten, sonst stirbt er. Aber: MS ist an sich keine tödliche Erkrankung, sondern eine chronische, die die Lebenserwartung in den meisten Fällen nicht einschränkt. Es geht nicht um Leben oder Tod, sondern darum, die Krankheit zu stoppen und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Für die Behandlung der Multiplen Sklerose braucht es deswegen meist keine so aggressive Therapie wie bei Krebs. Darum müssen wir Risiko und den Nutzen abwägen. Der Nutzen muss das Risiko deutlich überwiegen, denn wenn ein Mensch nicht an seiner Krankheit stirbt, soll er auch nicht durch die Behandlung sterben.

Aber nebenwirkungsfrei ist die HSCT-Therapie doch sicher nicht?

Es gibt einige Folgen der hochdosierten Chemotherapie wie die Senkung des Hämoglobin-Niveaus im Blut, einer Schwäche im Zusammenhang mit der Chemo, Husten wegen der Auswirkung der Chemo auf die Schleimhäute und Bronchien, aber das ist alles korrigierbar. Ein- bis eineinhalb Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus fühlt sich der Patient in der Regel deutlich besser.

Ein Mensch, der bereits nicht mehr gehen kann, wird auch nach einer Stammzell-Transplantation nicht mehr gehen können.
Autor: Denis Fedorenko

Ist dieser Therapieansatz für jeden MS-Patienten eine Option?

Wenn wir damit in einem frühen Stadium anfangen, wenn der Patient noch nicht invalid und weniger als fünf Jahre erkrankt ist, dann liegt die Erfolgsquote laut internationaler und eigener Statistiken nach mehr als zehnjähriger Erfahrungen bei 90 bis 95 Prozent.

HSCT in der Schweiz

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Seit über zehn Jahren wird versucht, eine Zulassungsstudie für die hematopoietische Stammzell-Transplantation (HSCT) in der Schweiz zu lancieren. Doch bislang fehlten die finanziellen Mittel. Für Pharmafirmen ist der Ansatz nicht interessant, da keine patentgeschützten Medikamente zum Einsatz kommen.

Ist die Krankheit bereits weiter fortgeschritten und progressiv, verschlechtert sich also ständig, liegt die Wahrscheinlichkeit, die Krankheit zu stoppen, nur noch bei 60 bis 70 Prozent.

Viele Patienten profitieren also gar nicht von diesem Ansatz?

Von 100 MS-Patienten kommt eine Transplantation nur bei 15 bis 20 in Frage. Es gibt Patienten, die haben MS-Formen, die man nur mit Medikamenten behandeln kann. Aber es wird oft zu lange gewartet. Patienten kommen erst zur Transplantation, wenn sonst überhaupt nichts mehr hilft.

Das ist nutzlos, gefährlich und nicht effektiv. Denn ein Mensch, der bereits nicht mehr gehen kann, wird auch nach einer Stammzell-Transplantation nicht mehr gehen können. Zudem ist er geschwächt von früheren Medikamenten und kann gefährliche Komplikationen bekommen.

Wir haben Patienten, die so seit 10, 15 Jahren keine speziellen Behandlungen mehr benötigt haben.
Autor: Denis Fedorenko

Wie geht es mit den Patienten weiter, die für die Therapie in Frage kommen?

Wenn wir die Transplantation in einem frühen Stadium machen, solange der Patient noch nicht invalide ist, bewirkt die Behandlung, dass der Patient gar keine Symptome der MS mehr entwickelt. Wir haben Patienten, die so seit 10, 15 Jahren keine speziellen Behandlungen mehr benötigt haben. Wenn wir die Transplantation zu einem späten Zeitpunkt der Krankheit durchführen, wenn der Mensch schon im Rollstuhl ist, dann ändern wir zwar auch sein Immunsystem, die Folgen der Krankheit sind dann aber nicht mehr umkehrbar.

Multiple Sklerose

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Bei MS greift läuft das Immunsystem körpereigene, gesunde Zellen an. Dadurch wird die Schutzschicht der Nervenzellen, die Myelinschicht, im Gehirn zerstört. Die Folge können Entzündungen der Sehnerven mit Sehstörungen sein, aber auch Gefühlsstörungen oder Lähmungen. Bei aggressivem Verlauf kommt es zu schweren körperlichen Behinderungen.

Skeptiker bemängeln, dass es bislang noch keine grossen Untersuchungen gibt und die Methode experimentell sei.

Eine experimentelle Methode kann doch nicht für eine Dauer von 15 Jahren und mehr experimentell sein. Es gibt die klinische Forschung seit 1997 und jetzt haben wir 2017. Wie lange will man denn noch experimentieren? Irgendwann muss man die Methode ja auch mal anwenden.

Ginge es um die Studie zu einem Präparat, in die man 10'000 Menschen einschliessen könnte, wäre das verhältnismässig schnell und einfach durchzuführen. Transplantationen sind aber etwas anderes. Sie sind nicht häufig. Dennoch ist bereits viel dazu publiziert worden, das belegt, dass es eine effektive Methode ist – wenn sie von erfahrendem Personal in einem erfahrenen Zentrum durchgeführt wird und die Patienten gut ausgewählt worden sind.

In der Schweiz ist das Verfahren zur Behandlung der Multiplen Sklerose bislang nicht zugelassen, auch die Krankenkassen zahlen nicht. Könnten die Kosten ein Grund dafür sein?

Im Prinzip ist es keine finanzielle Frage. Ich denke, dass Medikamente weniger kostengünstig sind, denn erstens muss man sie immer einnehmen, zweitens bewahren sie ja nicht vor der Invalidisierung. Sie sind auch nicht ungefährlich, es gibt viele Komplikationen, die muss man diagnostizieren und behandeln, das verursacht auch Kosten. Ich denke, global betrachtet ist die Transplantation kostengünstiger für das Gesundheitswesen.

So lange die Behandlung in anderen Ländern noch nicht angeboten wird, profitieren sie von ausländischen Patienten, die auf eigene Rechnung zu Ihnen kommen. Ein lukratives Geschäft?

In Europa gibt es zehn Zentren, die diese Behandlung anbieten. Weltweit wurden bislang rund 2000 Transplantationen bei MS durchgeführt, in Europa etwas mehr als 700, in den USA ungefähr 250. Wir hier in Moskau schliessen auch Patienten ein, denen in anderen Zentren bereits abgesagt worden war, weil ihre Krankheit beispielsweise schon fortgeschritten ist. Einen kommerziellen Aspekt hat die ganze Sache also schon auch.Aber natürlich sind Transplantationen in Russland deutlich billiger als in Europa und den USA.

Das Interview führte SRF-Russland-Korrespondent Christof Franzen

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