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Massnahmen gegen Coronavirus «Das entlastet das Gesundheitssystem und verschafft uns Zeit»

Die Massnahmen des Bundes stossen nicht überall auf Verständnis. Ein Epidemiologe erklärt, weshalb sie nötig sind.

20 bis 60 Prozent aller Erwachsenen werden sich mit dem neuen Coronavirus anstecken: diese Prognose stellt der Forscher Marc Lipsitch von der renommierten Harvard University. Letzte Woche ging er auf der Basis der da verfügbaren Daten sogar noch von 40 bis 70 Prozent aus.

Auch Marcel Salathé, Epidemiologie-Professor an der ETH in Lausanne, rechnet mit einer hohen Ansteckungsrate. Im schlimmsten Fall – liesse man das Virus sich ungehindert vermehren – könnte dies rein rechnerisch in der Schweiz zu 20'000 bis 35'000 Toten führen. Das ist deutlich mehr als bei einer normalen saisonalen Grippe, an der jedes Jahr rund 10 Prozent der Bevölkerung erkranken und schätzungsweise 500 Menschen sterben.

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Die bedrohlichen Zahlen basieren auf den aktuellen Daten aus China und illustrieren, weshalb die chinesischen Behörden derart rigoros durchgreifen.

«Kann sich eine Epidemie ungehindert entwickeln, ergibt dies sehr schnell einen exponentiellen Verlauf», erklärt Marcel Salathé. In kurzer Zeit nimmt die Anzahl der Infizierten und Kranken derart massiv zu, dass der Druck auf das Gesundheitssystem enorm steigt.

«Man versucht deshalb, die Zunahme der Infektionen mit verschiedenen Massnahmen möglichst flach zu halten und zeitlich möglichst weit nach hinten zu verlegen.» Das Resultat: Das Gesundheitssystem wird nicht überlastet. «Und es verschafft uns Zeit, um Medikamente und einen Impfstoff zu entwickeln.»

Mit drakonischen Massnahmen haben es die chinesischen Behörden geschafft, dass sich die Anzahl der Neuinfektionen in Wuhan seit rund zwei Wochen verlangsamt hat. Zudem hoffen einige darauf, dass sich das Virus in der warmen Jahreszeit weniger rasch ausbreitet.

Besteht also Grund zur Hoffnung, dass alles bald vorbei ist?

Epidemiologe Salthé relativiert: «Man kann nicht davon ausgehen, dass das Virus im Frühling einfach verschwinden wird, wie dies gewisse Politiker auch jenseits des Atlantiks behauptet haben.» Das Virus breite sich ja auch in Ländern mit ganz anderen klimatischen Verhältnissen stark aus. «Wir rechnen damit, dass es uns die kommenden Wochen und Monate erhalten bleibt.»

Das Jahr 2020 werde als das Jahr des Coronavirus in Erinnerung bleiben.

Nun gehe es weiterhin darum, die Anzahl Neuinfektionen mit vertretbaren Massnahmen so tief wie möglich zu halten und möglichst lange hinauszuzögern.

Für den Experten ist klar: Die verordneten Hygienemassnahmen erlauben es, Zeit zu gewinnen, bis ein Impfstoff entwickelt ist. Denn nur eine Impfung könne das Virus wirklich stoppen.

Puls, 02.03.2020, 21:05 Uhr

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