In der Schweiz werden jährlich über eine Million Operationen vorgenommen. Dass diese nicht immer reibungslos ablaufen, liegt auf der Hand. Die Fehlerquote soll mit Checklisten, standardisierten Abläufen und Weiterbildungen aber so tief wie möglich gehalten werden.
Am Inselspital Bern wird ein neuer Ansatz verfolgt: Ein auf künstlicher Intelligenz basierendes System soll Chirurginnen und Chirurgen beim Eingriff unterstützen, aber auch überwachen. So soll die chirurgische Fertigkeit gesteigert und die Komplikationsrate gesenkt werden – auch bei Routineeingriffen wie einer Gallenstein-Operation.
Gallenstein-Operationen gehören für Chirurgin Vanessa Banz zum Alltag. Das Gesundheitsmagazin «Puls» begleitet sie bei einem Eingriff, wo die Entfernung der Gallenblase auf dem Programm steht.
Wie bei allen Eingriffen sind sie und ihr Team während der Operation auf sich selbst gestellt. Das ist mitunter problematisch: «Vor allem bei längeren Operationen gibt es Phasen, die von Routine geprägt sind – und plötzlich muss man umstellen, weil eine potenziell gefährliche Situation kommt.» Diesen Moment nicht zu verpassen, könne schwierig sein. «Eine externe Unterstützung, die warnt und den ‹Vorsicht, gefährlich!›-Modus weckt, wäre da sicher nützlich.»
Eine heikle Situation steht jetzt auch bei der Gallenstein-Operation an: das Herausschneiden der Gallenblase.
Dafür muss die Chirurgin die Arterie und den kleinen Gallenblasengang mit Clips abklemmen. Dabei sind schwerwiegende Komplikationen möglich: «Wird statt dem kleinen Gang der Hauptgallenblasengang abgesetzt, fliesst die Galle nicht mehr aus der Leber ab. Der Gallenstau muss dann meist wieder chirurgisch behoben werden», erklärt Vanessa Banz.
Wird hingegen der richtige Gallengang gewählt, aber nicht vollständig abgeklemmt, fliesst Galle in die Bauchhöhle. Potenzielle Folge: eine schwere Bauchfellentzündung.
Weiterführende Informationen
Bei rund jeder 500. Gallenblasenoperation kommt es zu einer solch schweren Komplikation. Die Viszeralchirurgen Guido Beldi und Joël Lavanchy möchten das in Zukunft möglichst verhindern – mit künstlicher Intelligenz (KI).
Das Forschungsteam am Inselspital Bern verfolgt dafür einen neu entwickelten, dreistufigen Ansatz:
- Als Erstes wurde die KI mit einigen Hundert Videos früherer Gallenblasen-Operationen auf eine zuverlässige Erkennung der eingesetzten Operationsinstrumente trainiert.
- Im zweiten Schritt wurden die Bewegungen der Instrumente analysiert und dabei erkennbare Muster festgehalten.
- Schliesslich wurden die erkannten Bewegungsmuster mit Beurteilungen abgeglichen, die Experten zur jeweiligen Operation abgegeben haben.
Das System soll dereinst Operierende während des Eingriffs vor Fehlern warnen. Der Ansatz hat darüber hinaus auch Potenzial, die Qualität der chirurgischen Arbeit per se zu verbessern. «Es gibt einen Zusammenhang zwischen schnellen, zielgerichteten Bewegungen und hohen Bewertungen durch Experten», erklärt Guido Beldi. Das würde es irgendwann prinzipiell ermöglichen, die Geschicklichkeit einer Chirurgin, eines Chirurgen zu beurteilen. «Aber soweit sind wir noch nicht.»
Was bereits funktioniert: die Überwachung des entscheidenden Operationsschritts bei der Gallenblasen-Entfernung. Die KI erkennt, ob der Clip korrekt um den Gallenblasengang gelegt wurde und zeigt optisch an, ob der Gang komplett umschlossen und damit dicht ist.
Das System ist sogar schon so weit, den Operierenden am Ende des Eingriffs eine Analyse der geleisteten Arbeit zu liefern. «Es erkennt die Dauer der verschiedenen Operationsphasen und mittlerweile auch, welche Instrumente wie lange verwendet wurden.»
Guido Beldi sieht das als Chance für die Operierenden, sich durch die Rückmeldung und Quervergleiche selber zu verbessern. Dass die ständige Kontrolle und Bewertung auch zur Belastung werden kann, ist den Entwicklern bewusst. Aber Guido Beldi betont: «Es geht nicht um Überwachung, sondern um Unterstützung.» Und er rechnet damit, dass die Computerunterstützung im OP in fünf bis spätestens zehn Jahren alltäglich sein wird.
Vanessa Banz hat den Eingriff an der Gallenblase erfolgreich beendet. Ohne Komplikationen und ohne Unterstützung von aussen.
Die Überwachung durch ein Computersystem weckt bei ihr vorerst noch gemischte Gefühle. Als potenziellen Nachteil sieht sie, dass man sich in gewissen Situationen zu sehr auf die externe Hilfe verlassen könnte.
Und manchmal brauche es einfach gesunden Menschenverstand: «Am Ende geht es um den Patienten und seine Vorgeschichte. Bei gewissen Entscheidungen sind diese viel wichtiger als einzelne Operationsschritte, die durch die externe Hilfe quasi geleitet werden.»