Es ist ein Punktesystem von 0 bis 130, das sich die amerikanische Fachgesellschaft für medizinische Onkologie ausgedacht hat: Null Punkte gibt es für Medikamente, die keinen zusätzlichen Nutzen aufweisen im Vergleich zu älteren und günstigeren Behandlungen. Das heisst, sie können den Krebs nicht besser in Schach halten und haben auch nicht weniger Nebenwirkungen. Beim nicht-kleinzelligen Lungenkrebs etwa erhielten zwei von vier überprüften Therapien diese niedrigste Bewertung von null Punkten.
Zusätzlich zum Nutzen führt der Patienten-Ratgeber die monatlichen Kosten der Medikamente auf, denn diese müssten in den USA viele Patienten selbst bezahlen. Die hohen Kosten seien für viele Krebspatienten ein grosses Problem, viele würden deshalb sogar Bankrott gehen, sagt Onkologe Richard Schilsky von der American Society of Clinical Oncology.
Auch Ärzte verlieren den Überblick
Im solidarisch finanzierten Gesundheitssystem der Schweiz besteht diese Gefahr zwar nicht. Doch auch hierzulande wäre ein Ratgeber über den Nutzen von Krebsmedikamenten eine gute Idee, sagt Margrit Kessler, Präsidentin des Schweizer Patientenschutzes: «Das ist das, was wir bräuchten: Dass die Patienten wissen, um was es überhaupt geht. Ich bin überzeugt: Wenn die Patienten mehr erfahren, dann würden sie sich auch sehr oft ganz anders entscheiden» - entscheiden vielleicht auch für das Medikament, das das Leben weniger verlängert, dafür aber mit weniger Nebenwirkungen verbunden ist. Heute seien viele Patienten noch ungenügend informiert.
Das gelte auch für die Ärzte, sagt Thomas Cerny, Chefarzt für Onkologie am Kantonsspital St. Gallen. Die umfangreiche Fachliteratur zu den vielen neuen Krebsmitteln zu sichten, sei im Alltag für den einzelnen Arzt kaum machbar. Deshalb arbeite die europäische Fachgesellschaft zur Zeit an einem ähnlichen Projekt, das sich an Ärzte richtet. Das Ziel: eine einfache Noten-Skala für Krebsarzneien. «Was man damit ganz besonders beabsichtigt, ist, dass der Druck der Reklame, also die Beeinflussung durch Firmen wegfällt und dass man dem ein System entgegensetzen will, das die ganze harte Evidenz als Grundlage nimmt», sagt Cerny – die harte Evidenz, also die Resultate aussagekräftiger Patientenstudien, gesammelt und bewertet von unabhängigen Experten.
Bessere Preise für Krebsmedikamente möglich
Thomas Cerny erhofft sich, dass die Initiativen in Europa und den USA auch zu günstigeren Medikamenten führen könnten. «Firmen können sich dann überlegen, ob sie sich mit so hohen Preisen noch eine Chance ausrechnen, auf dem Markt zu bestehen», so Cerny. Zwar müssen Schweizer Patienten ihre Medikamente nicht selbst bezahlen, aber für das hiesige Gesundheitssystem sind die teuren Mittel ebenfalls eine grosse Belastung.
Die Pharmaindustrie lässt sich von den Transparenz-Initiativen nicht aufschrecken. Dass die Preise darum fallen könnten, sei nicht auszuschliessen, sagt Thomas Cueni vom Verband Interpharma. Aus Industriesicht sei aber wichtig, dass diese Nutzen-Bewertungen ständig aktualisiert werden, denn «die Medizin ist nicht statisch und die Beurteilung von Therapien ändert sich mit der Zeit. Gerade bei Krebsmedikamenten stellt man immer wieder fest, dass der effektive Nutzen erst über die langen Jahre der Anwendung entdeckt wird», erklärt Cueni – und dies müsse berücksichtigt werden.
Etwas ist klar: Mehr Transparenz beim Nutzen von Krebsmedikamenten wird den Patienten und Patientinnen zu Gute kommen.