«Mein Arzt war ein weiser Mann», sagt Martin Inderbitzin, der Initiator einer neuen Internet-Plattform. «Als er mir eröffnete, dass ich Bauchspeicheldrüsen-Krebs habe, erzählte er mir gleichzeitig von einem jungen Mann, der diesen überlebt hat.»
Diese Geschichte war für den damals 32-jährigen Neurologen entscheidend. Statistisch gesehen betrug Martin Inderbitzins Chance, die nächsten drei Jahre zu überleben, gerade mal fünf Prozent. Beim Googeln stiess er nach eigenen Worten vor allem auf «demotivierenden Schrott» zu seiner Krankheit.
Inspiriert von der «Survival Story», die ihm sein Arzt erzählt hat, entwickelte Martin Inderbitzin einen Plan: Kaum operiert, meldete er sich für einen Triathlon an, begann noch im Spital zu trainieren und absolvierte drei Monate später das erste Rennen.
Einen eigenen Weg finden
Diese Erfahrung war die Initialzündung für seine Plattform, die seit einigen Wochen online ist. Auf «My Survival Story» erzählen Menschen in Videos und Podcasts ihre ganz persönlichen Krebsgeschichten – von Ängsten und Depressionen, Rückschlägen und Hoffnungen. Vor allem aber, wie sie es schaffen, trotz Krebs ihr Leben zu leben.
«Es geht nicht darum zu zeigen: Du musst einfach positiv leben. Wir wollen das ganze Spektrum an Erfahrungen zeigen, das Krebspatienten durchmachen müssen», erklärt Martin Inderbitzin.
Wie individuell der Umgang mit der Krankheit ist, zeigen Beispiele der dokumentierten Geschichten: Ein Arzt in Argentinien gründet nach der Diagnose einen Wanderclub für Krebspatienten, eine 89-jährige Malaysierin überlebt fünf verschiedene Krebstypen und übt sich in radikaler Akzeptanz. Ein Deutscher verwirklicht einen alten Traum und reist per Fahrrad und mit Hund um die Welt.
Ermutigende Beispiele als Unterstützung
«Wenn man eine Geschichte hört von jemandem, der es geschafft hat, reduziert das Stress», ist der Neurowissenschaftler Martin Inderbitzin überzeugt. «Dass Stress schlecht ist für das Immunsystem, ist wissenschaftlich erwiesen. Stress reduzieren hilft also meinem Immunsystem – und das ist zentral, wenn man etwa eine schwere Chemotherapie durchmachen muss.»
Gerade während belastenden Behandlungen können Patienten kurze Videos oder Podcasts leichter aufnehmen als lange Texte. Das weiss Martin Inderbitzin aus eigener Erfahrung. Er muss selber immer wieder unters Messer und sich Chemotherapien unterziehen. Eine emotionale Achterbahnfahrt, die auch die Angehörigen belastet.
«Ständig mit dem möglichen Tod des geliebten Mannes konfrontiert zu sein, ist schwierig und verändert die Lebensperspektiven grundlegend», sagt Katarina Hagstedt, Martin Inderbitzins Ehefrau und Ko-Initiatorin der Plattform. «Die Geschichten von Überlebenden helfen auch mir, mich weniger einsam zu fühlen und die Situation zu akzeptieren.»
Unterschiedliche Kulturen – ähnliche Einsichten
Fast alle Patientenportraits hat das Ehepaar auf einer mehrmonatigen Reise rund um die Welt aufgenommen. Trotz sehr unterschiedlicher kultureller und religiöser Hintergründe, kommen die Porträtierten zu ähnlichen Einsichten im Umgang mit Krebs. Eine der Geschichten stammt aus der Schweiz. Es ist jene die Martin Inderbitzin kurz nach seiner Diagnose vom Arzt erzählt bekam.
Kevin Holdener war gerade 18 Jahre alt und wie seine inzwischen berühmte Schwester Wendy ein hoffnungsvolles Skitalent, als er an Bauchspeicheldrüsen-Krebs erkrankte. Auf «My Survival Story» erzählt Kevin Holdener, wie er nach dem ersten Schock seine Karriereträume begrub und sich mit Hilfe der Familie neu orientierte. Er studierte Betriebswirtschaft und arbeitet heute als Projektleiter für die Migros. «Ich bin stolz, dass meine Geschichte Martin ermutigt hat und dass ich vielleicht auch anderen Betroffenen damit helfen kann», sagt Kevin Holdener.
Die Krebsliga begrüsst das inspirierende Angebot
Ein Fachgremium der Krebsliga Schweiz hat die Inhalte der Plattform unter die Lupe genommen. «Es ist sicher bereichernd, dass ein Krebskranker selber erzählt, was ihm geholfen hat», erklärt Erika Gardi. Sie ist bei der Krebsliga verantwortlich für den Bereich Betreuung. «Man nimmt eine Geschichte ganz anders auf, wenn man weiss, er oder sie hat genau die gleichen Erfahrungen gemacht und sich denselben Schwierigkeiten und Ängsten stellen müssen.»
Das Internet ist heute für Krebspatienten meist die erste Anlaufstelle für Informationen. Die grosse Resonanz auf die «Survival Stories» ist für die Initiatoren ein Indiz dafür, dass die Plattform offenbar eine Lücke füllt.
«Die Leute lieben es, etwas Ermutigendes zu sehen, nicht nur den Tod, wenn sie online gehen», freut sich Katarina Hagstedt. Immer mehr Patienten tragen selber dazu bei, indem sie auf der Plattform eigene Geschichten und Fotos posten, mit denen sie ihre kleinen täglichen Siege über den Krebs feiern.