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Neue Studien zum Masernvirus «Masern löschen einen grossen Teil unseres Immungedächtnisses»

Masern sind keine Bagatelle. Sie können – wenn auch selten – zu geistigen Behinderungen oder zum Tod führen. Das ist bekannt. Doch am Masernvirus gibt es noch etwas Beunruhigendes: Vor vier Jahren zeigte eine Studie, dass Leute nach einer Masernerkrankung anfälliger für alle möglichen Infekte waren.

Nun erklären zwei neue Studien , was dabei im Körper passiert. Wissenschaftsredaktorin Anita Vonmont über die Erkenntnisse der Forscherinnen und Forscher aus den USA und Europa.

Anita Vonmont

Wissenschaftsredaktorin SRF

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Anita Vonmont ist Wissenschaftsredaktorin bei Radio SRF.

SRF: Sind Menschen, die Masern hatten, einfach geschwächt?

Anita Vonmont: Nein, da steckt mehr dahinter. Das Masernvirus ist ein sehr aggressives, hochansteckendes Virus. Bevor es die Impfung gab, hat sich praktisch jedes Kind mit Masern angesteckt. Nach den neuen Studien wird deutlich, dass das Virus das Immunsystem, also das körpereigene Abwehrsystem, schwächt. Es löscht einen grossen Teil des Immungedächtnisses aus.

Was ist ein Immungedächtnis?

Unser Immunsystem ist nicht einfach gegeben, das muss jedes Kleinkind erst aufbauen. Daher haben kleine Kinder so oft Fieber, Husten, Durchfall. Sie sind noch nicht gewappnet für die Krankheitskeime, die uns umgeben. Erst im Kontakt mit diesen Keimen bilden sich im Körper Abwehrzellen.

Während einer Infektionskrankheit bildet der Körper viele Abwehrzellen, die genau diese eine Erkrankung bekämpfen. Ist die Krankheit dann ausgestanden, legt der Körper ein paar dieser Abwehrzellen in eine Art Archiv ab.

Nach der Masernerkrankung kommt es quasi zu einem Reset des Immunsystems.

Dieses Zellarchiv wächst mit jeder Erkrankung. Bei einer erneuten Ansteckung mit einem Erreger, den der Körper schon kennt, greift das Immunsystem auf seine abgelegten Zellen zurück und reagiert schnell.

Was macht das Masernvirus mit diesem Archiv?

Das Masernvirus zerstört einen guten Teil dieses wertvollen Immunzellen-Gedächtnisses. Es kommt quasi zu einem Reset, einem Zurücksetzen des Immunsystems. Die ganze Aufbauarbeit wird wieder auf Null gesetzt und man ist wieder anfälliger auf alle möglichen Infektionskrankheiten.

Ist dieser Reset wirklich komplett?

Nicht ganz. Je nach Schweregrad einer durchgestandenen Masernerkrankung werden mehr oder weniger Immunzellen zerstört. Damit fehlen dann die von ihnen gebildeten Antikörper.

Das Repertoire des Immungedächtnisses schrumpft nach einer Masernerkrankung um gut 10 bis 70 Prozent. Die neuen Erkenntnisse zeigen, dass die Immunschwäche nach Masern mehrere Jahre anhalten kann.

Der Körper verliert also viel von dem, was er schon gelernt hat. Auch Impfungen sind eine Art Lernprogramm. Sie bringen dem Körper bei, sich gegen diese Erreger zu wehren. Muss man Impfungen neu machen, wenn man Masern hatte?

Eine klare Antwort kann man darauf noch nicht geben. Aber einer der Forscher dieser neuen Studien, Stephen Elledge von der Harvard Medical School in Boston, geht davon aus, dass es nach einer schweren Masernerkrankung Sinn macht, manche Impfungen nochmals zu machen. Was er auch sagt: Impfen Sie ihre Kinder gegen Masern.

Die neuen Erkenntnisse sind also ein Grund mehr, die Masernimpfung zu machen.

Ja, unbedingt. Wer auf die Impfung verzichtet, setzt sich – das wird mit den neuen Erkenntnissen klar – einem doppelten Risiko aus. Eltern riskieren für ihre Kinder, dass sie Masern bekommen und die Kinder sind erst noch anfälliger für andere Infektionskrankheiten.

Das Gespräch führte Katrin Zöfel.

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