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Psychosen – Verstehen statt abstempeln

Für Gesunde ist nur schwer nachvollziehbar, was psychisch Kranke im Wahn erleben. Verständnis aufbringen ist der erste Schritt zur Besserung.

Driftet ein Mensch in eine schizophrene Psychose ab, beginnt er, zunehmend in der eigenen Welt zu leben, die mit der erlebten Realität des Umfelds oft nicht mehr viel gemein hat. Solche schizophrenen Psychosen kommen etwa bei einem Prozent der Menschen vor. Für den Arzt sind diese Patienten eine echte Herausforderung, denn er muss sich auf ihre Welt einlassen, um Zugang zu ihnen zu finden.

Ein kompliziertes Unterfangen, denn die entwickelten Ideen sind vielfach nur schwer nachvollziehbar, die Angst etwa, sich aufzulösen oder von Wanzen umgeben zu sein, die sogar die Gedanken abhören, die dann wiederum über das Radio verbreitet werden. «Die Frage ist: Wie bekomme ich zu einem Menschen Zugang, der vielleicht ganz andere Überlegungen und Gedanken hat? Wie kann ich mich in eine solche Gedankenwelt hineinfühlen oder hineindenken? Kann ich erkennen, was in dem Menschen vorgegangen ist, dass sich das Universum für ihn sozusagen verschoben hat?» erklärt Joachim Küchenhoff, ärztlicher Leiter der Psychiatrie Baselland, die Schwierigkeiten, vor denen der Therapeut steht.

Denn das Verstehen ist für die Therapie unentbehrlich. Nicht immer sind die Patienten froh, von ihrem Wahn befreit zu werden. Der Wahn kann nämlich auch ein Stück Kompensation sein. Er bringt wieder eine Art Ordnung in eine Gedankenwelt, die völlig durcheinander geraten ist. Selbst wenn der Patient aber seine eigene Welt als angenehm empfindet: Andere können sie mit ihm nicht teilen, Isolation ist die Folge, genauso wie die Unfähigkeit, am normalen Arbeitsleben und Alltag teilzunehmen.

Der Erschaffung dieser «neuen Welt» stellt sich der Therapeut in den Weg, er hält den Patienten damit in der Welt, die der eigentlich unerträglich findet. «Ich erinnere mich noch gut, am Anfang meiner Laufbahn als Psychiater eine schwer psychotische Frau im katatonen Zustand getroffen zu haben, die auf der Station völlig reglos mit breit geöffneten Armen und Blick gen Himmel stand. Das ist ein Zustand, der lebensbedrohlich ist. Sie hat nichts mehr gegessen und getrunken und der Stoffwechsel ist dann maximal in Aufruhr. Da musste man etwas tun: Sie hat Medikamente bekommen», erzählt Joachim Küchenhoff. «Sie ist dann ein paar Tage später auf mich zugegangen und hat sich bitterlich beklagt. Sie habe den Himmel offen gesehen und ich habe sie auf die Erde zurückgeholt, die alles andere als schön ist,.»

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