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Eine Hand nimmt den iChip aus dem Matsch
Legende: «Gesunder Dreck» bekommt bei der Zucht des neuen Antibiotika-Hoffnungsträgers via «iChip» eine ganz neue Bedeutung. Slava Epstein/Northeastern University

Resistente Keime Neue Antibiotika-Chance aus dem Matsch

Die Gefahr durch multiresistente Keime wächst. US-Forscher haben nun dank einer neuen Herangehensweise ein potentes Antibiotikum entdeckt, das die Lage zumindest für einige Jahrzehnte entspannen könnte.

Die WHO hat bereits letztes Jahr vor einer Post-Antibiotika-Ära gewarnt – einer Zeit, in der Antibiotika ihre Schlagkraft verloren haben. Die Tendenz ist bereits deutlich zu spüren: Spitäler kämpfen gegen das Problem der multiresistenten Keime, also Bakterien, gegen die die bekannten Antibiotika nichts mehr ausrichten können. Eine lebensbedrohliche Entwicklung.

Nun haben US-Forscher um Kim Lewis von der Northeastern University gemeinsam mit Kollegen in Deutschland und England eine ungewöhnliche Methode entwickelt, die das Problem vielleicht entschärfen könnte.

Der Knackpunkt: 99 Prozent der Mikroorganismen, dank derer neue Medikamente entwickelt werden könnten, wurden bislang in der Forschung ignoriert, weil sie sich für die Zucht in der Petrischale nicht eigneten.

Neuer Ansatz für die Bakterienzucht

Deshalb entwickelten die Wissenschaftler nun eine neue Herangehensweise. Sie entdeckten das Antibiotikum Teixobactin im Erdboden einer Wiese im US-Bundesstaat Maine. Dort entnahmen sie Boden und isolierten die entsprechenden Bakterien. Sie verpackten sie anschliessend in ein spezielles, minimal durchlässiges Gerät, das sie «iChip» nannten.

Dieses vergruben sie in einer Kiste, die mit dem Boden gefüllt ist, aus dem die Probe stammte. In dieser natürlichen Umgebung gediehen die Bakterien gut und bildeten bald ganze Bakterienkolonien. Jetzt war das kritische Stadium überschritten: Die Wissenschaftler konnten die Kolonien entnehmen und in Petrischalen im Labor weiterkultivieren.

Medizin aus dem Matsch? Die Idee mag ungewöhnlich erscheinen, ist sie aber nicht. Wissenschaftler suchen seit langem im Boden, aber auch in Ozeansedimenten oder sogar in Tierkot nach Organismen, die dem Menschen dienen könnten. Die Pharmazie bedient sich dabei seit jeher dem zugrundeliegenden, ganz natürlichen Mechanismus: Alles, was auf der Erde wächst, versucht sein Überleben zu sichern. Im Falle der Mikroben bedeutet das: Sie wehren sich gegen Konkurrenz durch Stoffe, die ihre Feinde vernichten – zum Beispiel mit Antibiotika. Diesem Prinzip haben wir auch viele chemotherapeutische Medikamente zu verdanken, und eben das neu entdeckte Teixobactin.

Wehrhaftes Antibiotikum

Das Antibiotikum war im Mäuseversuch sehr erfolgreich und konnte sogar manche Infektionen durch multiresistente Keime wie Staphylococcus aureus heilen, aber auch Tuberkulose- oder Anthrax-Bakterien abtöten. Nicht wirksam war es hingegen bei einigen der Keime, die Lungenentzündung, Gonorrhoe, Blasenentzündungen oder Blutvergiftungen auslösen.

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Die Forscher hoffen, dass es Erregern nicht gelingen wird, schnell Resistenzen gegen Teixobactin zu entwickeln, weil es die Zellwände der Bakterien über viele verschiedene Wege zerstört. Sie stützen sich in dieser Prognose auf Erfahrungen mit dem Antibiotikum Vancomycin, das ähnlich arbeitet. Hier benötigten Bakterien drei Jahrzehnte, um Resistenzen zu entwickeln.

Erste Versuche an Menschen wird es frühestens in zwei Jahren geben. Sollten sie positiv verlaufen, wird es bis zur Zulassung sicher weitere fünf oder sechs Jahre dauern.

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