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Schlechte Prävention Zu viele Fuss-Amputationen bei Diabetikern

Jedes Jahr müssen in der Schweiz bei rund 1500 Diabetikern Füsse, Zehen oder Beine amputiert werden – Tendenz steigend – und mit grossen Unterschieden zwischen den Kantonen. Dabei liessen sich viele der Amputationen durch konsequente Überwachung verhindern.

Erhöhter Blutzucker stört die Durchblutung in den Füssen und führt so langfristig zu schlimmen Verletzungen. Perfiderweise leiden darunter auch die Nerven. Diabetiker spüren ihre Füsse – und damit ihre Verletzungen – oft gar nicht. «Es gibt Patienten, die haben eine Scherbe im Fuss und laufen damit noch Tage herum», sagt die Diabetologin Barbara Felix vom Kantonsspital Baselland, «die Patienten vergessen ihre Füsse regelrecht.»

Die Folge solcher Verletzungen: In der Schweiz mussten im letzten Erhebungsjahr bei über 1200 Diabetikern Zehen, bei über 200 ein Fuss und nochmals bei über 200 ein Unterschenkel amputiert werden. «Eine Amputation ist wirklich die letzte Möglichkeit, wenn man mit der Wunde sonst nicht fertig wird», sagt der Orthopäde Thomas Böni von der Universitätsklinik Balgrist in Zürich.

Amputationsrate stagniert – auf unnötig hohem Niveau

Daten des Bundesamtes für Statistik zeigen: Die Amputationsrate in der Schweiz stagniert. Und es gibt über die Jahre gesehen grosse Unterschiede zwischen den Kantonen, die schwer zu erklären sind. Allerdings ist die Amputationsrate mit Vorsicht zu interpretieren, da es in der Schweiz keine Erhebung zur Anzahl von Diabetikerinnen und Diabetikern gibt – und damit zu den gefährdeten Personen.

Aber es gibt noch immer zu viele Amputationen, da sind sich die Experten einig. «Das Problem ist, dass wir in der Prävention immer noch schlecht sind», sagt Barbara Felix. «Es sind unattraktive Sachen, um die wir uns kümmern müssten: Pilz zwischen den Zehen, Hühneraugen, Warzen, eingewachsene Zehennägel. Das ist nichts, weswegen wir Medizin studiert haben.»

Und die Podologie wird nach wie vor nicht von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen, obwohl ein entsprechender Vorstoss im Parlament bereits 2012 angenommen wurde.

Die vergessenen Füsse

Die Füsse seien in unserem Kulturkreis eben eher ein vernachlässigter Körperteil und auch etwas sehr Intimes, sagt Barbara Felix. Im Gegensatz zu beispielsweise muslimischen Ländern zeige man die Füsse nicht gerne her bei uns.

Dabei wäre genau das wichtig. «Meine Haupt-Botschaft ist: Nehmen Sie die Füsse in die Hände, also sowohl die Patientinnen und Patienten ihre eigenen Füsse, als auch meine Kolleginnen und Kollegen die Füsse ihrer Patienten.»

Diabetischer Fuss – gefürchtetes Diabetiker-Problem

In der Schweiz sind schätzungsweise rund 500'000 Personen an Diabetes erkrankt – fast 90 Prozent von ihnen an Diabetes Typ 2. Wohl die Hälfte aller Diabetiker und Diabetikerinnen jedoch weiss gar nichts von ihrer Erkrankung. Bis schliesslich die Diagnose fällt, weil die Symptome stärker werden, dauert es zumindest für den sich schleichend entwickelnden Typ-2-Diabetes im Schnitt sieben Jahre.

Diese Übergangszeit ist heikel, weil der Zuckerspiegel im Blut bereits kräftig aus dem Ruder läuft. Kursiert über längere Zeit zu viel Zucker im Blut, nehmen Gefässe und Nerven Schaden. Denn der Zuckerüberschuss bewirkt eine chronische Entzündung der Blutgefässe, die langfristig die Gefässwände angreift.

Ihre glatte Innenseite wird rau, kleine Gerinnsel können kleben bleiben, Ablagerungen entstehen. Das Gefäss verengt sich und kann sich ganz verschliessen – und das geschieht bei Diabetikern besonders oft an Füssen und Beinen, weil sie am weitesten vom Herz entfernt sind. Der überschüssige Zucker lagert sich dort besonders stark ab und richtet seine Schäden an. Die Folge: Jeder Dritte Diabetiker hat schlecht durchblutete Beine.

Daraus entstehen verschiedene Komplikationen:

Neuropathischer Fuss: Probleme den Nerven in Füssen und Beinen

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Bei bis zu 30 bis 40 Prozent der Diabetiker mit Fussproblemen ist eine Nervenschädigung durch Mangelversorgung das Problem. Erste Symptome: übermässig trockene Haut am Fuss, starke Schwielen und Druckstellen, warme Füsse, meist Durchblutungsstörungen und Empfindungsstörungen sowie schlecht heilende Wunden. Durch die Gefühlsstörungen sind selbst tiefe Geschwüre nicht schmerzhaft. Wie genau die Nervenschäden entstehen, ist noch nicht abschliessend geklärt.

Das einzige, was hier hilft, ist eine regelmässige und aufmerksame Fussinspektion.

Ischämisch-gangränöser Fuss: Gefährliche Gefässverschlüsse

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Ischämisch-gangränöser Fuss: Gefährliche Gefässverschlüsse

Diese Spätfolge von Diabetes ist anders als der neuropathische Fuss sehr schmerzhaft. Selbst kleinste Anstrengungen tun wegen der Minderdurchblutung weh. Er betrifft bis zu 30 Prozent der Diabetiker mit Fussproblemen, besonders oft Raucher, Menschen mit koronarer Herzkrankheit oder Bluthochdruck-Patienten. Anzeichen sind blasse oder sogar bläulich verfärbte, kalte Füsse, sehr schmerzhafte Verletzungen, Belastungsschmerzen, die in Ruhe wieder verschwinden (Schaufensterkrankheit), fehlende Fusspulse, Nekrosen, die zuerst an den Zehen auftreten. Wegen der fehlenden Durchblutung stirbt Gewebe grossflächig ab.

Mischformen

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Besonders problematisch sind Mischformen, also Nerven- in Kombination mit Durchblutungsstörungen, die bei bis zu 40 Prozent der Patienten auftreten.

Forschung an Lösungsansätzen

Die Patienten kommen wegen der fehlenden Schmerzwahrnehmung häufig nicht auf die Idee, mit ihren Füssen könne etwas nicht stimmen. Und Ärzte haben oft kein ausreichendes Augenmerk darauf, was sich innerhalb der Socken ihrer Patienten abspielt. Hilfsmittel könnten das Problem entschärfen. In Magdeburg beispielsweise wurde eine intelligente Schuheinlage entwickelt, die Betroffenen zeitnah mit einem Aufwand von circa zehn Minuten am Tag eine Rückmeldung über den Zustand ihrer Füsse gibt.

Diese speziell für Diabetikerfüsse konzipierten Einlagen schonen einerseits die Füsse, messen über Sensoren aber auch Druck und Temperatur. Durchblutungsstörungen und Entzündungen sollen so frühzeitig erkannt werden, denn Entzündungen und Durchblutungsstörungen verändern die Fusstemperatur zum Teil bereits fünf Wochen vor dem Auftreten einer sichtbaren Schädigung. Die gemessenen Werte werden an ein Mobiltelefon und von dort an das Studienzentrum weitergeleitet. Dem Patienten werden direkt nach der Messung gefährdete Bereiche seines Fusses angezeigt.

Nachdem die intelligente Einlegesohle in Vorstudien in der Klinik getestet wurde, soll sie nun im häuslichen Umfeld der 150 Patienten zwei Jahre lang zum Einsatz kommen.

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