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Selbst ist der Patient

Bei chronischen Krankheiten und ambulanten Eingriffen muss der Patient in Zukunft mehr Selbstmanagement übernehmen. Doch das ist nicht jedermanns Sache. Noch zu oft werden die Patienten zu wenig instruiert.

Laut WHO sind chronische Krankheiten für die Schweiz ein zentrales Problem. Sie verursachen heute schon knapp 90 Prozent der Krankenlast und die Zukunft verheisst keine Besserung. In einem Bericht der OECD werden die chronischen Krankheiten sogar als das wichtigste Problem der künftigen Gesundheitsversorgung in der Schweiz bezeichnet.

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Nebst den immer älter werdenden, multimorbiden Schweizern weist sie auf einen weiteren Faktor hin: Unser Gesundheitssystem ist (noch) nicht ausgerichtet auf die Verlagerung hin zu chronischen Krankheiten. Der Bund hat dies erkannt und plädiert in seiner «Nationalen Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten» für gut informierte Menschen und die Stärkung ihrer Eigenverantwortung. Gemeint ist damit vor allem präventives, gesundes Verhalten, damit Krankheiten überhaupt verhindert werden.

Patienten als Experten ihrer Krankheit

Bei einigen chronischen Krankheiten wird aber bereits ein sehr viel konkreterer Weg eingeschlagen. Das Stichwort dazu heisst: Selbstmanagement. Patienten sollen nicht nur besser informiert sein über ihre Krankheiten, ihr Wissen soll sie auch handlungsfähiger machen. Heisst: Patienten sollen ihre Krankheit so gut kennen und mit ihr umgehen lernen, dass sie auf Arztbesuche im Grossen und Ganzen verzichten und selber Entscheidungen zum Verhalten treffen können.

Sogenannte EVIVO-Kurse zählen dabei vor allem auf das System «Peer to Peer»: Betroffene helfen Betroffenen. Egal ob Rheuma, Asthma oder Krebs, chronisch Kranke lernen mit der Unterstützung von anderen chronisch Kranken besser mit ihrer Krankheit umzugehen und vermehrt ohne Arzt auszukommen.

Blutwäsche daheim statt im Spital

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Ein gutes und schon einige Zeit etabliertes Beispiel für Patienten-Selbstmanagement sind die Diabetes-Patienten, die sich weitgehend selber messen und betreuen. Ein anderes Beispiel sind Dialyse-Patienten, die sich für die Peritonealdialyse (Bauchfelldialyse) entschieden haben. Anstatt dreimal pro Woche im Dialysezentrum ihr Blut waschen zu lassen, übernehmen sie diese Behandlung selber: zuhause, im Büro oder wo immer sie gerade sind. Das macht die Patienten nicht nur unabhängiger, sondern spart pro Patient und Jahr bis zu 30'000 Franken.

Allerdings: Obwohl die meisten der Dialysepatienten für eine Bauchfelldialyse medizinisch geeignet sind, sind es nur wenige Patienten, die diese Behandlungsform nutzen: Bis 2012 waren es im Schnitt gerade einmal neun Prozent der Dialysepatienten. Verantwortlich dafür soll laut Fachleuten sein, dass Ärzte zu wenig Werbung für die Bauchfelldialyse machen – entweder, weil sie selber mit der Bauchfelldialyse zu wenig vertraut sind oder weil die Zentren mehr verdienen an den Patienten, die sich vor Ort einer Hämodialyse unterziehen.

Patienten und Ärzte zu mehr Selbständigkeit erziehen

Mit dem Dialysevertrag zwischen dem Schweizerischen Verband für Gemeinschaftsaufgaben der Krankenversicherer SVK und den Dialysezentren der Schweiz wollte man mehr Anreize schaffen für die Bauchfelldialyse. Die Zentren verpflichteten sich, bis Ende 2016 zu erreichen, dass 20 Prozent der neuen Patienten sich für die Bauchfelldialyse entscheiden. Die meisten Kantone haben diese Quote erreicht. Vor allem für die Kantone Bern mit einem Inselspital, das schon immer für die Bauchfelldialyse warb, war dieses Ziel ein Leichtes.

Andere Zentren haben mehr Mühe und üben Kritik am Quotensystem: Selbst wer medizinisch geeignet ist für eine Bauchfelldialyse, ist noch lange nicht dafür gemacht, die Verantwortung für einen medizinischen Ablauf zu übernehmen oder sich intensiv mit der eigenen Krankheit zu beschäftigen. Vor allem ältere Patienten, die alleine leben, sind oft überfordert damit – eine Patientengruppe, die es in Zukunft immer mehr geben wird.

Ambulant operiert – und dann?

Mehr Eigenverantwortung und Selbstmanagement ist auch von den Patienten gefragt, die nach einem Eingriff rasch nach Hause entlassen oder sogar nur ambulant behandelt wurden. Laut der Schweizerischen Stiftung SPO Patientenschutz ist das Niveau der Patienteneduktation, also der Information der Patienten durch Ärzte und Pflegepersonal, vor der Entlassung aus dem Spital sehr unterschiedlich. Noch zu oft sind die Informationen über Verbandswechsel, Umgang mit Blutungen, Schmerzen und Spritzen ungenügend.

Die meisten Institutionen verlassen sich auf ein «Entlassungsgespräch», in welchem zwar Medikamenteneinnahme und Wundversorgung zuhause thematisiert werden. Auch wird nachgefragt, ob die Versorgung zuhause gewährleistet ist. Daheim sind die Patienten aber plötzlich doch überfordert mit dem Verabreichen der Anti-Thrombose-Spritze, dem Kochen mit Krücken, der korrekten Versorgung der Wunde, die plötzlich stark blutet oder mit den starken Schmerzen. Da würde ein Merkblatt mit konkreten Angaben und Tipps helfen oder eine Notfalltelefonnummer. Hier herrscht noch Handlungsbedarf.

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