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Ein Ultraschall eines Babys.
Legende: Spina-Bifida-OP: Jedem dritten Kind nützte der Eingriff im Mutterleib in hohem Masse, bilanziert das Unispital Zürich. (Symbolbild) imago/zuma press

Spina-Bifida-Operation Offener Rücken bei Föten: Hat sich die OP vor der Geburt bewährt?

Kinder mit Offenem Rücken werden seit 2010 in der Schweiz bereits im Mutterleib operiert. Das Universitätsspital Zürich hat sich als europäisches Zentrum für diesen Eingriff etabliert. Jetzt zieht es Bilanz nach 65 Operationen.

Bei etwa einem von 2000 Embryos verschliesst sich während der frühen Entwicklung das Neuralrohr nicht richtig, und es kommt zu einer Spina bifida – einem Offenen Rücken.

Betroffene Babys kommen schwer behindert zur Welt: Sie sind von Geburt an querschnittgelähmt, können Blasen und Darm nicht kontrollieren und haben oft einen Wasserkopf.

Spektakulärer Eingriff

Nun gibt es seit wenigen Jahren in der Schweiz einen Ausweg: Kinder mit Offenem Rücken werden bereits im Mutterleib operiert, sodass das Rückenmark weniger beschädigt wird. Das Universitätsspital Zürich und dessen Kinderklinik haben sich als europäisches Zentrum für diesen Eingriff etabliert.

Gestern haben die beteiligten Ärzte um den Kinderchirurgen Martin Meuli nach 65 solcher Eingriffe Bilanz gezogen. «Eine vollständige Heilung ist es nicht», sagte Martin Meuli, «aber die meisten Kinder profitieren deutlich von der Operation.»

Operation im Bauch

Es ist ein spektakulärer Eingriff, den Meuli und ein eingespieltes Team aus Kinder- und Frauenklinik des Unispitals an Schwangeren vornimmt: Wie bei einem Kaiserschnitt öffnet der Chirurg die mütterliche Bauchhöhle, hebt die Gebärmutter etwas heraus und schneidet sie auf.

Das Kind ist unter Ultraschall so gedreht worden, dass der offene Rücken direkt unter der Gebärmutteröffnung liegt. Nun kann der Chirurg das freiliegende Rückenmark verschliessen. Nach der Operation bleiben dem Fötus noch zirka drei Monate im Mutterbauch – Zeit, in der seine Rückenmarksfunktionen im besten Fall regenerieren.

Martin Meuli ist Direktor der Chirurgischen Klinik am Kinderspital Zürich.
Legende: Martin Meuli ist Direktor der Chirurgischen Klinik am Kinderspital Zürich. Keystone

«Zumindest aber nimmt das Rückenmark im letzten Schwangerschaftsdrittel keinen Schaden mehr, wie dies bei einer unbehandelten Spina bifida der Fall ist», erklärt Martin Meuli.

Nicht geheilt, aber verbessert

Wie gut dies tatsächlich gelingt, zeigen die Erfahrungen am Unispital Zürich: Etwa einem Drittel der Kinder nützt die Operation im Mutterleib in hohem Mass.

Diese Kinder haben praktisch keine Lähmungserscheinungen, sie haben keinen Wasserkopf und können Blase und Darm problemlos kontrollieren. Ein weiteres Drittel profitiert ebenfalls klar, doch nicht in allen Bereichen. Das restliche Drittel bleibt trotz des Eingriffs erheblich behindert.

Unter dem Strich ein klarer Erfolg, bilanzieren die Zürcher Spezialisten. Dank der Operation gelinge es in vielen Fällen, schwere Behinderungen zu vermeiden und Leid abzuwenden. Die Kosten liegen zwischen 80'000 und 170'000 Franken – das sei viel günstiger als die lebenslange Betreuung eines schwerbehinderten Kindes, argumentiert Martin Meuli.

Nach dem Schock ein dritter Weg

Für manche Eltern ist die Operation eine Alternative zum Schwangerschaftsabbruch. Zu ihnen gehört Andrea Schildknecht aus Gossau. Sie war in der 23. Woche schwanger, als sie erfuhr, dass sie ein Kind mit Offenem Rücken erwartete.

«Die Diagnose war für mich und meinen Mann ein Schock», erzählt die 39-Jährige, «und wir diskutierten endlos darüber, wie sich diese schwere Behinderung auf unser Leben auswirken, was es auch für unsere ältere Tochter bedeuten würde.»

Zwei Kaiserschnitte

Dann erfuhren die jungen Eltern von der Möglichkeit einer pränatalen Operation. Bei der Abklärung in Zürich sagten die Ärzte, das Baby habe gute Aussichten, dass es sich geistig normal entwickle und später auch gehen könne. Für Andrea Schildknecht war schnell klar, dass sie den Eingriff wollte.

Heute ist Larina drei Monate alt und entwickelt sich prächtig. «Sie trinkt gut, schläft viel und schenkt uns oft ein Lächeln», erzählt Andrea Schildknecht. Beine und Zehen könne das Baby gut bewegen, und es bekomme Physiotherapie zur Unterstützung.

Andrea Schildknecht fühlt sich ebenfalls fit. Die beiden Kaiserschnitte innerhalb von nur drei Monaten hat ihr Körper verkraftet. Ihr Fazit: «Wir sind dankbar, dass wir diese Operation machen durften, und dass sich alles so glücklich gefügt hat.»

Sendung: Radio SRF 4 News, Rendez-vous, 08.12.2017, 12.30 Uhr

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