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Sterben im Spital

Zwei von fünf Menschen in der Schweiz sterben in einem Spital. Trotzdem hatte der Sterbeprozess in Spitälern lange keinen Platz. Allmählich wird dem Lebensende mehr Platz und Zeit eingeräumt.

Intensivstation, Inselspital Bern. Seelsorger Pascal Mösli öffnet eine unscheinbare Tür. Wir betreten einen fensterlosen Raum mit hellgelben Wänden; flache Lampenschirme an der Decke tauchen alles in ein weiches Licht. «Das ist der Raum der Stille», sagt Pascal Mösli, reformierter Theologe und Co-Leiter der Spitalseelsorge. «Hier können die Angehörigen Zeit verbringen mit dem Patienten.» Wenn das Spitalbett in diesen Raum gerollt wird, ist klar, dass das Leben des Patienten nicht mehr zu retten ist; er stirbt oder ist bereits gestorben.

Audio
Skalpell bitte! – Leben und Tod
aus HörPunkt vom 02.03.2015. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 57 Minuten 11 Sekunden.

Im «Raum der Stille» gibt es keine Fenster. Man fühlt sich ein wenig wie in einer Höhle – oder in einer Abstellkammer. Ist der Tod noch immer ein derartiges Tabu im Spital, dass man die Sterbenden in eine Abstellkammer verbannt? Nein, versichert Pascal Mösli. Immerhin sei der Raum beim Neubau der Intensivstation überhaupt eingerichtet worden – noch vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen. Und: Viele Angehörigen würden sich in dem Raum wohl fühlen

Alle Religionen müssen Platz haben

Pascal Mösli ist einer der neun Spitalseelsorger am Inselspital. Reformierte und katholische Kollegen teilen sich die Arbeit. Und Pascal Mösli legt viel Wert darauf, dass auch andere Glaubensrichtungen ihren Platz haben. Vertreter anderer Religionen oder spiritueller Richtungen werden auf Wunsch der Patienten zugezogen. Und im «Raum der Stille» befindet sich ein Wandschrank – darin ein kleiner Buddha, Kerzen und weiteres spirituelles Zubehör für die multikulturelle Gesellschaft.

Schweizweit sterben 40 Prozent der Menschen in einem Spital, die übrigen in Pflege- und Altersheimen oder zu Hause. Im Spital kann der Tod ganz plötzlich kommen, etwa wenn eine Notoperation das Unfallopfer nicht retten kann. In anderen Fällen schleicht der Tod sich langsam an – etwa wenn eine Krankheit wie Krebs allmählich die Oberhand gewinnt.

Viele möchten einfach nur reden

Die Bedürfnisse der Sterbenden sind sehr unterschiedlich. «Bei einigen steht die Angst vor dem Sterben im Vordergrund, andere möchten noch Konflikte – zum Beispiel mit den Kindern – lösen und wieder andere wünschen sich einfach einen Gesprächspartner», erzählt Pascal Mösli.

Genügend Zeit zu haben, sei beim Sterben im Spital immens wichtig, sagt er. «Auf den Bettenstationen ist das nicht immer gegeben, weil der Arbeitsrhythmus dort sehr hoch ist.» Anders auf der sogenannten Palliativstation, die im Inselspital Teil der onkologischen Abteilung ist, jedoch nicht ausschliesslich Krebspatienten aufnimmt. Hier stehen nicht mehr die Heilung sondern das Lindern von Leid und die bestmögliche Gestaltung der letzten Lebensphase im Zentrum.

Eine Kammer – immerhin

Die Zimmer auf der Palliativstation sind grösser als ein durchschnittliches Spitalzimmer, so dass auch Angehörige hier übernachten können, wenn sie das wünschen. Durchschnittlich bleiben die Menschen zwei Wochen hier; ein Drittel von ihnen stirbt auf der Palliativstation.

Wenn vom Sterben die Rede ist, fällt oft der Begriff der «Würde». Wir wollen selbstbestimmt sterben – so, wie wir gelebt haben. Doch dieser Anspruch sei fast nicht zu erfüllen, sagt Pascal Mösli. «Beim Sterben müssen wir ein Stück äusserliche Kontrolle abgeben. Es geht darum, in sich selbst einen Ort der Beheimatung zu finden.»

Den Tod in der Klinik lassen

Wie geht er selber damit um, dass er tagtäglich mit dem Tod zu tun hat? Es beschäftige ihn stark, sagt Pascal Mösli. «Ich denke oft auch über meinen eigenen Tod nach. Wenn ich mit dem Velo nach Hause fahre, muss ich bewusst darauf achten, die Krankenhaus-Welt auch ein Stück weit hinter mir zu lassen.»

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