Zum Inhalt springen

Header

Video
Umstrittene Sterbehilfe – Ärzte gegen Ausweitung ihrer Rolle
Aus Puls vom 22.10.2018.
abspielen. Laufzeit 9 Minuten 13 Sekunden.
Inhalt

Suizidhilfe Ärztestreit ums «unerträgliche Leiden»

Was üblicherweise eine Formsache ist, wird zum Showdown mit ungewissem Ausgang: Am nächsten Donnerstag entscheidet das Parlament der grössten Ärzteorganisation FMH darüber, ob die neuen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften SAMW in die ärztliche Standesordnung aufgenommen werden sollen.

Zwar sind die 25-seitigen SAMW-Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» weitgehend unbestritten, doch eine Formulierung sorgt für viel böses Blut in der Ärzteschaft.

«Unerträgliches Leiden» statt «tödliche Krankheit»

Galt bisher, dass der Arzt einem Patienten ein tödliches Sterbemittel verschreiben und verabreichen darf, wenn «die Erkrankung des Patienten die Annahme rechtfertigt, dass das Lebensende nahe ist», soll neu Suizidhilfe durch den Arzt auch erlaubt sein, wenn «die Krankheitssymptome und/oder Funktionseinschränkungen des Patienten für diesen Ursache unerträglichen Leidens sind.»

Voraussetzung dafür ist, dass der Arzt das Leiden des Patienten nachvollziehen kann. Unverändert gilt laut den neuen SAMW-Richtlinien, dass der Patient urteilsfähig sein muss und der Arzt die Suizidhilfe jederzeit ablehnen kann.

FMH-Vorstand fürchtet Dilemma für Ärzte

Die Wiler Ärztin Yvonne Gilli lehnt als Mitglied des FMH-Vorstands das neue Kriterium entschieden ab: «‹Unerträgliches Leiden› ist ein sehr subjektiver Begriff, und der Arzt muss sich dabei am Patienten orientieren. Der Begriff ist sehr heikel, weil er keine objektivierbaren, vergleichbaren und messbaren Kriterien mehr enthält.»

Somit vergrössere sich laut Gilli das Dilemma des Arztes stark. Zudem kritisiert der FMH-Vorstand, dass neu auch Patienten mit behandelbaren psychischen Krankheiten Suizidhilfe vom Arzt erhalten könnten.

Hausärzte-Verband begrüsst mehr Selbstbestimmung

Der Verband der Haus- und Kinderärzte mfe begrüsst dagegen die neue Regelung, welche dem Wunsch der Patienten nach Selbstbestimmung am Lebensende besser Rechnung trage.

«In den Richtlinien wird der Schwerpunkt der Arzt-Patienten-Beziehung verschoben. Von paternalistischem Erlauben zu partnerschaftlichem Begleiten», sagt der Ustermer Hausarzt Res Kielholz. «Heute müssen viele Menschen mit einer schweren chronischen aber nicht tödlichen Krankheit unnötig erhebliches Leiden ertragen, bis der Tod kommt.»

Nachvollzug der Realität

Für die SAMW als Urheberin trägt die neue Regelung lediglich einer bestehenden Praxis Rechnung, wie der Arzt und Ethiker Georg Bosshard erklärt: «Bereits heute ist es so, dass rund die Hälfte der Menschen, die mit Hilfe des Arztes oder von Organisationen wie Exit sterben, nicht an einer tödlichen Krankheit leiden.»

Das werde schon bisher toleriert, sagt Bosshard, der die SAMW bei der Ausarbeitung beraten hat. Mit der neuen Regelung müssten die Ärzte in solchen Fällen weniger ein schlechtes Gewissen haben.

Rechtlich wird sich unabhängig vom Ausgang der FMH-Abstimmung nichts ändern. Aber für viele kranke Patienten, welche Ihr Leiden beenden wollen, ohne unheilbar krank zu sein, wäre eine Ja zur Aufnahme der Richtlinien in die Standesordnung eine Erleichterung. Für ihren Sterbewunsch wäre dann wohl künftig häufiger der eigene Arzt die erste Adresse – und nicht eine anonyme Sterbehilfeorganisation.

Meistgelesene Artikel