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Todesursache unerkannt

Woran in der Schweiz gestorben wird, weiss man gar nicht so genau. Davor warnen jedenfalls Rechtsmediziner. Sie schätzen, dass jedes zweite Tötungsdelikt nicht erkannt wird. Eine Studie aus Deutschland befeuert nun de Debatte.

Wenn jemand in der Schweiz stirbt, wird der Tod meist vom Hausarzt oder von einem Notarzt festgestellt. Er muss auch angeben, ob eine Person eines natürlichen oder nicht-natürlichen Todes (Suizid, Unfall, Gewalt von Dritten) gestorben ist. Und auch bei einem natürlichen Tod muss der Arzt später die Ursache angeben können. Bei der sogenannten Leichenschau müsste der jeweilige Arzt den Leichnam eigentlich ganz ausziehen und eingehend untersuchen.

Hohe Dunkelziffer bei Tötungsdelikten?

Doch Rechtsmediziner warnen schon eine Weile, das geschehe nicht gründlich genug. Jedes zweite Tötungsdelikt bleibe so unentdeckt, schätzen sie. Zum Beispiel verstarb ein Mann in Bern mutmasslich an den Folgen eines Autounfalls. Erst in der Rechtsmedizin zeigte sich ein kleiner Hautdefekt am Rücken. Die Obduktion ergab: Tod durch Schussverletzung.

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Nimmt man Unfälle und Suizide dazu, würde das bedeuten, dass in der Schweiz über 3000 nicht-natürliche Todesfälle übersehen werden. «Es gibt mit Sicherheit nicht-natürliche Todesfälle, die aufgrund der Leichenschau, so wie sie heute durchgeführt wird, nicht erkannt werden. Wie hoch die Zahlen sind, wissen wir allerdings nicht», sagt Eva Scheurer, Leiterin des Instituts für Rechtsmedizin Basel.

Unzuverlässige Todesursachenstatistik?

Wenn aber sogar Schussverletzungen übersehen werden, wie sieht es dann bei den natürlichen Todesfällen aus? Kann man da der offiziellen Todesursachenstatistik überhaupt trauen? Zum Beispiel, dass im letzten Erhebungsjahr 21’593 Menschen an Herzkreislaufkrankheiten gestorben sind und 17’261 an Krebs?

Verschiedene Rechtsmediziner zweifeln das an. «Die Todesursachenstatistik in der Schweiz ist nur sehr beschränkt aussagekräftig», sagt denn auch Rechtsmedizinerin Eva Scheurer.

Fehlerhafte Todesbescheinigungen?

«Das stimmt mit Sicherheit nicht», widerspricht Christoph Junker. Er ist seit Jahren beim Bundesamt für Statistik verantwortlich für die Erhebung der Todesursachen. «Ich glaube, die Rechtsmediziner gehen von einem falschen Verständnis aus davon, was diese Statistik leisten soll. Wir sind nicht für den Einzelfall da, sondern sollen ein Gesamtbild geben, woran die Leute in der Schweiz streben.»

Aber auch fürs Gesamtbild stützt sich Christof Junker auf die Angaben der Ärzte. Und eine neue Studie aus Deutschland zeigt: Diese Angaben enthalten oft schwerwiegende Fehler. Doch die Situation in der Schweiz sei eine ganz andere, sagt Christoph Junker: «In der Schweiz muss ein Arzt nicht schon an Ort und Stelle eine definitive Diagnose angeben, er kann zu Hause in seiner Krankenakte nachschauen und dann eine Diagnose aufschreiben.»

Neue Studie soll Klärung bringen

Ob das in der Schweiz tatsächlich zu weniger Fehlern führt, lässt sich allerdings nicht belegen: Es gibt dazu schlicht keine Studien. Das wollen Rechtsmediziner der Universität Bern nun noch dieses Jahr nachholen, indem sie Leichname vor dem Kremieren nochmals untersuchen, um einen Hinweis auf das Ausmass der Fehldiagnosen bei der Leichenschau in der Schweiz zu erhalten.

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