Benzodiazepine wirken schnell und gut bei Schlafstörungen sowie gegen Angst- und Spannungszustände. Doch sie machen auch schnell abhängig und sollten deshalb nur in Ausnahmefällen länger als vier bis sechs Wochen eingenommen werden. Ebenso Schlafmittel auf Basis sogenannter Z-Substanzen.
Trotzdem werden diese Medikamente immer noch viel zu schnell verschrieben.
Anhaltend lasche Verschreibungspraxis
Für das SRF-Gesundheitsmagazin «Puls» hat die Krankenversicherung Helsana hochgerechnet: Fast jede(r) Zehnte in der Schweiz bezieht im Verlaufe eines Jahres Benzodiazepine oder Z-Substanzen. Davon nimmt die Hälfte die Medikamente längere Zeit ein.
Das sind über 350'000 Menschen, die abhängig werden könnten oder es bereits sind. Eine Zahl, an der sich trotz des Wissens um die Problematik seit Jahren kaum etwas ändert.
Den unkritischen Umgang mit den Mitteln stellt man auch in der Forel-Klinik fest, die sich auf den Medikamenten-Entzug spezialisiert hat: «Wir erleben eine sehr lasche Verschreibungspraxis, teils auch fehlende Aufklärung über das Medikament oder die Risiken», sagt Psychiaterin und Chefärztin Heike Schwemmer.
Einmal abhängig, ist es alles andere als einfach, von Benzos und Z-Substanzen wieder wegzukommen. Eine Betroffene, die in der Forel-Klinik den Entzug geschafft hat, denkt nur ungern an die Zeit zurück: «Es ging ganze drei Monate, und es war heftig. Ich hatte Halluzinationen und Ausfälle. Ein Horror-Trip!»
Das Suchtpotenzial ist das eine – die Nebenwirkungen das andere. «Dazu gehören depressive Verstimmungen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, erhöhte Sturzgefahr im Alter und eingeschränkte Fahrtauglichkeit», zählt Psychiaterin Heike Schwemmer auf.
Pflegeheime besonders betroffen
Speziell häufig eingenommen werden Schlaf- und Beruhigungsmittel in Alters- und Pflegeheimen. Mehr als jede(r) Dritte über 65 Jahren bezieht dort ein Benzodiazepin oder eine Z-Substanz. Davon über die Hälfte über längere Zeit.
«Das hat damit zu tun, dass viele schon mit diesen Substanzen eingetreten sind», weiss Heimarzt Heinrich Kläui. Diese abzusetzen, sei bei langjährigen Konsumenten nicht realistisch. «Man plagt die Leute nur, und die Erfolgschancen sind gering.»
Benzos zum Ruhigstellen
Benzodiazepine werden in manchen Heimen aber offenbar auch zum Ruhigstellen der Bewohnerinnen und Bewohner eingesetzt – dann nämlich, wenn die Pflege nicht genügend Zeit hat.
Ein Pflegehelfer erzählt «Puls» von einer typischen Nachtschicht: «Was würden Sie machen, wenn innert zwanzig Minuten vier Leute klingeln, unruhig sind und schreien? Und nur zwei Hilfspfleger da sind? Da gibt es leider nur eine Lösung: Medikamente.»
Das sei kein Einzelfall, bestätigt Corina Salis Gross, die seit Jahren in Pflegeheimen forscht. Dabei hat sie in einer laufenden Untersuchung im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit festgestellt: Die Massnahmen, um den Benzodiazepin-Konsum einzudämmen, seien eigentlich bekannt – viele Institutionen würden sie aber nicht anwenden.
Warum nicht? «Das sind weitgehend strukturelle Faktoren, also Zeit-, Geld- und Ressourcenmangel.» Der Kampf mit dem Pflegenotstand bindet alle Kräfte.