Zum Inhalt springen

Umstrittene Warnung der WHO Rotes Fleisch ist schlecht – oder etwa doch nicht?

  • Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor rotem und verarbeitetem Fleisch. Der Konsum erhöhe das Krebsrisiko.
  • Ernährungsforscher widersprechen: Die Datenlage lasse keine solche Warnung zu. Das Risiko sei für den Einzelnen zu klein, um relevant zu sein.
  • Fachleute, die an der WHO-Empfehlung mitarbeiteten, wehren sich gegen die daraus abgeleitete Empfehlung, so viel Fleisch zu essen, wie man will.

Eier, Butter, Fleisch: gesund oder ungesund? In der Vergangenheit fand sich jedes dieser Nahrungsmittel mal in dieser, mal in jener Kategorie wieder – je nach Zeitgeist und aktuellem Stand der Forschung.

Während Butter und Eier ein kräftiges Comeback gefeiert haben, mussten rotes Fleisch und Wurstwaren in den letzten Jahren unten durch: Potenziell krebserregend seien Würste, ein Konsum von mehr als 50 Gramm pro Tag nicht empfehlenswert. Und auch für Steak & Co. gab die WHO die Devise aus: je weniger, desto gesünder.

«Ist ja bald alles krebserregend»

Das WHO-Verdikt von 2015 kümmerte Fleischliebhaber indes wenig. Und wie ein Ortstermin der SRF-Gesundheitssendung «Puls» bei einer zünftigen Metzgete zeigt, hat sich daran wenig geändert.

Der Tenor der fleischliebenden Gäste: «Geschrieben wird viel...» Davon lasse man sich nicht gross beeinflussen, denn einmal gelte Butter als schädlich, dann wieder Margarine – und überhaupt sei heute ja bald alles krebserregend.

Ausser Fleisch. Da sind sich die Anwesenden einig.

Und tatsächlich: Jetzt kommt Entwarnung – von einem internationalen Expertengremium, das sich die vorhandenen Studien zu verarbeitetem und rotem Fleisch nochmals genau angeschaut hat.

Aufgrund der Studienlage kann man nicht mit genügender Sicherheit sagen, dass solches Fleisch Krebs, Diabetes oder Herzkreislaufkrankheiten verursacht.
Autor: Bradley Johnston

Co-Autor Bradley Johnston von der Dalhousie University in Kanada findet klare Worte: «Aufgrund der Studienlage kann man nicht mit genügender Sicherheit sagen, dass solches Fleisch Krebs, Diabetes oder Herzkreislaufkrankheiten verursacht.»

Die brisante Schlussfolgerung: «Die meisten Menschen können ihren Konsum von rotem oder verarbeitetem Fleisch beibehalten.»

Klingt überraschend, ist es aber nur bedingt. Denn Ernährungsstudien haben generell das Problem, dass sie auf Befragungen basieren. Probanden geben aus der Erinnerung an, was sie in welcher Menge gegessen haben. Das ist oft ungenau.

Dann wird geschaut, woran die Menschen später erkranken. Ob ein einzelnes Lebensmittel wie beispielsweise rotes Fleisch die Ursache war, ist so kaum zu beweisen.

Und sowieso sei das Risiko für den einzelnen zu klein, um relevant zu sein, sagt der neue Bericht .

Kein Freipass fürs Fleischessen

Auch wenn die magere Datenlage vieler Empfehlungen kaum bestritten wird, hat der Freispruch für Wurst und rotes Fleisch bei einigen Fachleuten Kopfschütteln ausgelöst. Zum Beispiel bei jenen, die damals an der WHO-Empfehlung mitgearbeitet haben.

Sabine Rohrmann, Epidemiologin an der Universität Zürich, zählt zu ihnen. Und sie hält an der WHO-Empfehlung weiterhin fest: «Die Datenlage zeigt für mich konsistent, dass es mit einem geringeren Risiko für viele Krankheiten verbunden ist, weniger Fleisch zu essen.»

Es stimme zwar, dass der Effekt für das Individuum relativ klein sei. «Wenn man das aber auf Bevölkerungsebene anschaut, dann sind das doch einige Tausend Krankheitsfälle, die vermieden werden könnten.» Das liege im selben Bereich wie zum Beispiel Passivrauchen.

Natürlich sollte man über die Qualität der Studien diskutieren und darüber, wie sich die verbessern lässt. Aber ich finde es nicht gerechtfertigt zu sagen, ‹esst soviel Fleisch wie ihr wollt›.
Autor: Sabine Rohrmann

Sabine Rohrmann: «Natürlich sollte man über die Qualität der Studien diskutieren und darüber, wie sich die verbessern lässt. Aber ich finde es nicht gerechtfertigt zu sagen, ‹esst soviel Fleisch wie ihr wollt›.»

Nicht zuletzt auch aus ethischen und ökologischen Gründen – die von der neuen Studie völlig aussen vor gelassen wurden.

Immerhin: An der von «Puls» besuchten Metzgete kommt das Fleisch direkt aus der Region und wurde gleich nebenan verarbeitet. Und wenn sich die Schlachtplatten auch ohne sichtbare Gewissensbisse geleert haben, stösst die fleischkritische Haltung von Sabine Rohrmann doch durchaus auf Verständnis.

«Zu viel Fleisch ist sicher ungesund», meint ein satter Gast. Aber das sei bei allem so. Abwechslung sei wichtig. «Man hat ja auch keine Lust, jeden Tag Metzgete zu essen», ergänzt ein weiterer. «Das wäre sicher nicht gut für den Körper.»

Eine Dritte bringt das Dilemma schliesslich auf den Punkt: «Man weiss sowieso nicht mehr, was man glauben soll.»

Schwarz-Weiss-Denken ist vorbei

Das kann Ernährungsmedizinerin Bettina Isenschmid gut nachvollziehen. «Die Empfehlungen werden tatsächlich laufend revidiert.» Immerhin zeigt sich aber etwas immer deutlicher: «Von der Idee, dass sich Lebensmittel einfach in Gesunde und Ungesunde unterteilen lassen, muss man sich definitiv verabschieden.»

Das hat auch sein Gutes. Denn wie Isenschmid aus der Praxis weiss, führt die Schwarz-Weiss-Unterteilung in gut und böse bei vielen Menschen mit Vorlieben für «Ungesundes» zu Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen.

Und das ist definitiv ungesund.

Meistgelesene Artikel