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«Versuchskaninchen» #7 Gelöchert auf dem Weg zur Besserung

Den Körper mit spitzen Nadeln stechen, um eine Heilung auszulösen: Beim «Baunscheidtieren» wird mit stachligen Geräten die Haut gezielt gelöchert. Die blutige Methode soll unter anderem bei chronischen Schmerzen helfen. Kleine Wunden, grosse Wirkung?

Der Gedanke kam Carl Baunscheidt (1809-1873) an einem Sommerabend, als die Mücken seine rheumakranken Hände zerstachen. Zwar waren diese am nächsten Morgen von Pusteln übersät – seine Schmerzen aber waren weg. Fortan versuchte der Deutsche Erfinder, diesen Effekt mit Geräten nachzuahmen. Er tat dies mit einem Nadelgerät – später als «Lebenswecker» bezeichnet – und einem reizenden Öl, welches Blasen auf der Haut verursacht. Die Methode sollte gegen alle möglichen Schmerzen helfen: Rheuma, Arthrose, Migräne und Rückenschmerzen, aber auch Asthma, Tinnitus, Frauenleiden oder Juckreiz.

Akupunktur des Westens

Die Baunscheidt-Methode schwang sich zur «Akupunktur des Westens» auf. Während es um das Jahr 1900 in Deutschland noch Hunderte von Baunscheidt-Ärzten gegeben haben soll, ist das Verfahren heute selbst in Naturheilpraktiker-Kreisen höchstens noch eine Randerscheinung. So gibt es in der Schweiz nur wenige Therapeuten, welche Baunscheidt-Behandlungen anbieten.

«Baunscheidtieren ist keine Erstbehandlung», sagt etwa Christina E. Brunner, die das «Puls»-Versuchskaninchen Sarah Allemann behandelte. «Ich kombiniere es oft mit Therapien aus der Traditionellen Chinesischen Medizin wie Guasha oder Schröpfen.» Meistens seien es die Kunden selber, die das Baunscheidtieren wünschten. Verständlich – denn ohne Schmerzen und etwas Blut ist das Anritzen der Haut nicht möglich. Zwar wird heute etwa ein weniger scharfes Reiz-Öl verwendet als in den Anfangszeiten der Methode. Doch Baunscheidtieren zählt zu den Ausleit-Verfahren, die aus medizinischer Sicht als veraltet gelten.

Nur Placebo-Effekt?

Wissenschaftliche Studien über die Wirksamkeit der Methode fehlen bis heute gänzlich. Wird die Behandlung unter mangelhaften hygienischen Bedingungen durchgeführt, besteht die Gefahr von Infektionen der offenen Haut. Zudem können allergische Reaktionen auf das Baunscheidt-Öl auftreten. Kritiker bemängeln, dass eine Heilung durch Baunscheidtieren bloss dem Placebo-Effekt zuzuschreiben sei - der erfahrungsgemäss umso stärker ist, je invasiver eine Methode ist.

«Sicher spielt beim Baunscheidtieren auch ein hoher Placebo-Effekt mit», räumt selbst Peter von Blarer ein. Er ist Schulleiter der Heilpraktikerschule Luzern, an der auch Baunscheidtieren unterrichtet wird. Allerdings ist er überzeugt, dass Baunscheidtieren über die Wirkung eines Placebos hinausreicht: «Die Methode ist definitiv wirksam. Sie aktiviert durch äussere Einwirkung die Selbstheilung des Körpers.» So könne man mit den kleinen Verletzungen etwa das Immunsystem reizen und aktivieren. Bei einem Tennisellenbogen zum Beispiel könne man den Schmerz zum Verschwinden bringen, weil die Verletzungen im betroffenen Areal die Durchblutung nachhaltig anregen und sich so eine entzündete Sehne besser regeneriert. So stehe auch nicht das Ausleiten über die Haut, sondern das Aktivieren der regenerativen Prozesse wie der Durchblutung im Vordergrund der Therapie.

In der Ausbildung an der Naturheilpraktikerschule Luzern wird deshalb weiterhin Baunscheidtieren unterrichtet. Schliesslich, so Peter von Blarer, gehöre Baunscheidtieren zu den klassischen traditionellen Methoden der westlichen Naturheilkunde – «und die muss man als Naturheilpraktiker einfach kennen.»

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