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Vitamin-D-Prävention – Zweifel an der Wirksamkeit
Aus Puls vom 08.10.2018.
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Vitamin-Supplemente Vitamin D steht in der Kritik

Der Bund empfiehlt, im Winter Vitamin-D-Präparate einzunehmen. Doch nun gibt es Zweifel an deren Wirksamkeit.

Vitamin D – ein wichtiger Stoff, der hauptsächlich durch Sonnenstrahlen in unserer Haut produziert wird. Auch über Lebensmittel wie Eigelb, Pilze oder fettreiche Fische wie Lachs und Hering können wir Vitamin D aufnehmen. Sind wir stark unterversorgt, drohen häufiger Stürze, Frakturen und eine schlechte Knochengesundheit.

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit BLV hat deshalb definiert, wie gross der optimale Tagesbedarf sein sollte. Weil wir vor allem in den Wintermonaten zu wenig an der Sonne sind, soll Vitamin D auch künstlich über Tropfen und Tabletten eingenommen werden. Die Empfehlungen betreffen fast alle, vor allem jedoch Menschen die älter als 60 Jahre alt sind.

Und sie hatten Konsequenzen: Die Anzahl Personen, die Vitamin-D-Präparate dem Körper künstlich zuführen, lag 2013 noch bei rund 300'000. Bereits 2016 sind es 700'000 Personen – mehr als eine Verdopplung also.

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Legende: Im Jahr 2016 nahmen doppelt so viele Menschen Vitamin D Präparate zu sich wie noch drei Jahre zuvor. SRF

Vitamin D wirkt nicht

Doch nun zeigt eine grosse Studienanalyse, die letzte Woche im Lancet Diabetes & Endocrinology veröffentlicht wurde: Vitamin D zur Prävention bringt oft nichts.

Die Forscherin Alison Avenell von der Universität Aberdeen hat massgeblich an der Analyse mitgearbeitet. Sie und ihre neuseeländischen Kollegen um Mark Bolland haben 81 klinische Studien mit über 50'000 Teilnehmern untersucht: «Wir können sagen, dass die Einnahme von Vitamin D als Ergänzung nicht wirksam war, um Brüche oder Hüftfrakturen zu verhindern. Die Fakten zeigen sogar, dass das Risiko für Hüftfrakturen eher anstieg», so Avenell. Auch das Risiko für Stürze bei älteren Menschen konnte nicht gesenkt werden, fügt sie an.

Für Kinder machen Vitamin D-Tropfen weiterhin Sinn

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In den Empfehlungen vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BLV) sind auch Kleinkinder aufgelistet. Demnach benötigen Säuglinge im ersten Jahr Vitamin D-Tropfen und Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr, wenn sie wenig an der Sonne sind oder oft Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor tragen.

Diese Empfehlungen machen laut Thomas Rosemann, Professor am Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich, weiterhin Sinn. Denn Kleinkinder erhalten Vitamin D um sie vor Rachitis zu schützen – eine Wachstumsstörung, die zu Verformungen der Knochen führen kann.

Es gibt zwar eine aktuelle Studie, die zeigt, dass Kinder kein zusätzliches Vitamin D benötigen. Sie stammt aber aus Bangladesch, wo andere Lebens-und Sonneneinstrahlungsbedingungen existieren. Daher sind die Resultate nicht auf die Schweiz übertragbar. Studien aus westlichen Regionen mit ähnlichen Bedingungen gibt es nicht.

Aufgrund dieser Datenlage ist es gemäss Thomas Rosemann sinnvoll, die Richtlinien vom BLV weiterhin zu befolgen. Denn die täglich empfohlenen Dosen schaden sicher nicht, sie schützen höchstens vor Rachitis.

Gesprächsstoff für die Universität Zürich

Diese Erkenntnis sorgt auch am Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich für Gesprächsstoff. Es sind nämlich die Hausärzte, die die Empfehlungen des BLV bisher umsetzen sollten. «Wir haben hunderttausende von gesunden Patienten gerade zur Winterhalbzeit mit Vitamin D Supplementen behandelt. Man muss sagen auf Basis dieser Datenlage ist das eigentlich ein Schmarren, ein Unfug», sagt Thomas Rosemann, der Direktor des Institutes.

Die Einnahme von künstlichem Vitamin D bringe nur bei einer kleinen Risikogruppe einen Vorteil. Bei Personen, mit einem sehr ausgeprägten Vitamin-D-Mangel und solchen, bei denen bereits Osteoporose festgestellt wurde oder die eine Fraktur erlitten haben, schlussfolgern die Experten.

Befürworterin kritisiert Studie

In der Schweiz hat sich in den letzten Jahren vor allem eine Frau stark für die breite Vitamin-D-Einnahme eingesetzt. Es ist die Altersmedizinerin Heike Bischoff-Ferrari, die auch in der Expertengruppe des Bundes die heutigen Empfehlungen erarbeitet hat. Zu den Resultaten der neuen Studie sagt sie: «Leider bringt uns diese grosse Analyse nicht weiter, weil die Autoren tägliche und monatliche Dosierungen nicht getrennt verglichen haben, und beim Vergleich niedriger und höherer Dosierungen die Kontrollgruppe fehlt. Wenn man alles kombiniert, folgt ein Nulleffekt.»

Die Wissenschaftler um Alison Avenell widersprechen hier jedoch: «Wir waren uns bewusst, dass wir Kritik hören würden und versuchten diese von Anfang an miteinzubeziehen. Wir fanden aber auch keinen Nutzen für Leute mit täglichen Dosen, und wir fanden auch keinen Nutzen bei höheren versus tieferen Dosierungen.»

Bei der verantwortlichen Behörde – dem BLV – wollte niemand zu den aktuellen Empfehlungen oder zur neuen Studie Auskunft geben. Nur Heike Bischoff-Ferrari sagt: «Die Empfehlungen des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit müssen aufgrund der neuen Resultate in der Studie nicht verändert werden.»

Amerika hat die Empfehlungen angepasst

Bereits seit einigen Jahren gibt es den Verdacht, dass Vitamin D in der breiten Anwendung nichts bringt. So wurde in den letzten Jahren mehrere Analysen von Autoren im Jama oder eine Review von der Cochrane-Organisation veröffentlicht. Die U.S. Preventive Service Task Force in Amerika hat ihre Empfehlungen angepasst und stuft die Datenlage ebenfalls als schwach ein.

Thomas Rosemann sagt: «Ich denke, dass die Datenlage mittlerweile durch diese Metaanalysen wirklich überzeugend gegen die bisherigen Empfehlungen spricht und wenn man jetzt die Empfehlungen nicht ändert, dann weiss ich eigentlich auch nicht was es noch für eine Datenlage braucht, um Empfehlungen zu verändern.» Für die breite und gesunde Bevölkerung stehen die Vitamin D-Tabletten und Tropfen auf schwachem Fundament.

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