Es klingt befremdlich: Vor dem Eingriff startet der Chirurg eine App auf seinem Smartphone und liest nach, wie die anstehende Operation überhaupt funktioniert. Bei dieser Aussicht hofft manch einer, dass er nie mit einem komplizierten Beinbruch oder einem zertrümmerten Schlüsselbein ins Krankenhaus eingeliefert wird.
Doch eigentlich ist es einleuchtend, dass kein Unfall-Chirurg Hunderte unterschiedlicher Brüche und ihre optimale Versorgung auswendig aus dem Kopf abrufen kann. Zudem bleibt meist nicht viel Zeit, um Patienten nach einem Unfall zu versorgen. Was also liegt näher, als ein Online-Nachschlagewerk für Chirurgen? Und für jene Ärzte, die den Weg zum PC scheuen, gibt es eine App fürs Handy, die jeden Tag über 5500 Mal angeklickt wird.
Die Idee der Macher
Hinter diesem Nachschlagewerk, der «AO Surgery Reference», stehen Leute der AO Foundation in Davos. Die medizinisch ausgerichtete Non-Profit-Organisation revolutionierte vor 50 Jahren die Chirurgie. Hier wurde die sogenannte Plattentechnik erfunden, also Frakturen mithilfe von Implantaten zusammengeflickt. Statt den Patienten einen einfachen Gips zu verpassen, wurden kompliziertere Brüche fortan verschraubt und gebrochene Knochen mit Platten verstärkt. Ein aufwendiges Verfahren, das jedoch wesentlich bessere Heilungschancen verspricht.
Um den Chirurgen ihre Arbeit zu vereinfachen, entstand hier vor rund sieben Jahren die Idee zu einer Website: Bis heute sind auf www.aosurgery.org bereits an die tausend Frakturen und ihre optimale medizinische Versorgung detailliert dokumentiert – von der Diagnose bis zur Nachbehandlung des Patienten. Der grosse Vorteil gegenüber Anatomiebüchern: Die Seite wird regelmässig aktualisiert und erspart den vielbeschäftigten Chirurgen das Wälzen dicker Anatomiebücher.
Operationsfehler vermeiden
Die Auswertung der Klicks zeigt: Es sind in erster Linie Chirurgen, angehende Ärzte und Pflegepersonal, die die Internetseite nutzen. Über 5500 Zugriffe pro Tag verzeichnet das Chirurgie-Onlinenachschlagewerk inzwischen weltweit, je zur Hälfte auf die Website und die App verteilt. Die Zugriffe kommen aus der ganzen Welt, auch aus Australien und Afrika. An erster Stelle steht die USA. Bezogen auf die Einwohnerzahl zählen allerdings die Schweizer zu den fleissigsten Nutzern.
So ungewohnt es anfänglich wirkt, wenn der Arzt vor dem Eingriff zuerst sein Smartphone konsultiert – der kurze Blick auf die App hilft in der Praxis, Operationsfehler zu vermeiden.