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Hausärzte-Mangel in der Schweiz
Aus Puls vom 25.03.2013.
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Was bleibt, wenn der Dorfarzt geht?

Die Gemeinde Andermatt ist ein medizinischer Notfall: Schon bald geht der Dorfarzt in Pension, doch ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Andermatt ist kein Einzelfall. Der Schweiz mangelt es an Hausärzten. Ein Gespräch mit einem Praxisvermittler.

Fast die Hälfte der Schweizer Grundversorger ist 55 Jahre oder älter. In den nächsten zehn Jahren rollt eine Welle der Pensionierung von Hausärzten auf uns zu. Die Nachfolger sind rar, denn der Hausarzt-Job hat an Attraktivität verloren. Die ländlichen Gebiete und die Bergregionen tun sich besonders schwer, den Nachwuchs in ihre Gemeinden zu locken. Doch inzwischen ist der Ärztemangel sogar in den Städten angekommen.

Das Problem ist erkannt. Anfang des Monats hat der Nationalrat über die Initiative «JA zur Hausarztmedizin» beraten. Zwar spricht sich der Rat dagegen aus, befürwortet aber, wie der Ständerat auch, den direkten Gegenvorschlag. Dieser will das Problem weiter fassen und nicht nur auf die Hausärzte begrenzen, sondern die gesamte medizinische Grundversorgung, also auch die Pädiatrie, Pflegefachpersonen oder Apotheker mit einschliessen. Eines sind sich aber alle einig: Es braucht dringendst Massnahmen gegen den Hausärztemangel.

Seit zwei Jahren auf der Suche

Dies zeigt auch der Fall Andermatt. Der Dorfarzt sucht bereits seit zwei Jahren einen Nachfolger für seine Praxis. Vergeblich. Das lässt auch die Gemeinde nicht kalt, denn sie ist verpflichtet, die medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. Jetzt spannen Gemeinde und Kanton zusammen und suchen mit Hochdruck eine Lösung für ihr medizinisches Problem. Dabei sind die Verantwortlichen auch bereit, neue und unkonventionelle Wege zu gehen.

Einer der sich mit der Suche nach Hausärzten auskennt, ist Roland Willi, 60, Praxisvermittler.

«Puls»: Herr Willi, wer kommt auf Sie zu, um Ihre Hilfe zu beanspruchen?

Roland Will: Es sind vor allem zwei Gruppen. Das eine ist der Arzt, der einen Nachfolge sucht. Das andere sind Ärzte, die eine Praxis suchen. Also Verkäufer und Suchende. Allerdings sind es gerade bei zweiteren in den letzten Jahren vor allem Ärzte aus Deutschland. Und vor allem Fachärzte wie zum Beispiel Chirurgen. Hausärzte sind Mangelware. Denn es ist seit geraumer Zeit sehr eindeutig: Es gibt bedeutend mehr Ärzte die einen Nachfolger suchen und ihre Praxis verkaufen wollen, als Ärzte, die an einer Praxis interessiert sind. Es ist ein sehr trockener Markt von potentiellen Nachfolgern in der Hausarztmedizin. Und die Situation wird sich noch dramatisch zuspitzen.

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Roland Willi gründete 1993 eine Firma, die Ärzte betriebswirtschaftlich beriet. Immer öfter fragten ihn die Ärzte aber nicht nur um Rat bei der Praxisoptimierung, sondern bei der Suche nach einem Nachfolger. Heute hat er um die 18'000 Arztbesuche hinter sich und kümmert sich praktisch nur noch um die Vermittlung von Praxen im Raum Zentralschweiz.

Ist das klassische Hausarztmodell überholt – braucht es da nicht neue Ansätze und Lösungen um Hausärzte in ein Dorf zu locken?

Das ist definitiv so. Der Dorfarzt als Einzelkämpfer der auch noch den Notfalldienst abdeckt, das ist Vergangenheit, dafür findet man keine Nachfolger mehr. Heute sind vor allem Teilzeitmodelle gesucht. Die Medizin wird zunehmend weiblicher und gerade da ist das Bedürfnis nach Teilzeitstellen, wie es in Gruppenpraxen möglich ist, gross.

Es gibt immer öfter auch private Anbieter, Firmen also, die eine Praxis führen und den oder die Ärzte anstellen. Wie dies zum Beispiel auch Krankenversicherer handhaben. Sie betreiben eine Praxis, die Ärzte arbeiten in Anstellung und oft mit einem Teilzeitpensum. Ein solches Modell wäre sicher auch für eine Gemeinde denkbar.

Im Fall Andermatt wird jetzt die Gemeinde bei der Nachfolgersuche aktiv. Wie könnte ein solches Modell aussehen?

Es ist durchaus denkbar, dass eine Gemeinde die Rolle der Praxisbetreiberin übernimmt. Sie stellt die Räumlichkeiten und Apparaturen zur Verfügung, stellt einen oder mehrere Ärzte an und bezahlt ihnen ein fixes Jahresgehalt. Innerhalb von zwei, drei Jahren könnte die Gemeinde die Praxis so ammortisieren. Danach wäre beispielsweise eine Übernahme durch die Ärzte denkbar. Dieses Modell hat den grossen Vorteil, dass ein junger potentieller Nachfolger sich nicht in Unkosten stürzen muss. Denn dies ist ein wesentlicher Punkt: Diejenigen die noch an einer Hausarztstelle interessiert wären, scheuen oft die Investitionen oder haben gar nicht das Geld, um von der Bank einen Kredit zu bekommen. 

Da braucht es definitiv neue Ansätze. Denkbar wäre beispielsweise auch eine Praxis in Form einer Genossenschaft, bei der die Bevölkerung die Ärzte einstellt. Welches Modell sich bewähren wird, ob von Privaten, von Krankenversicherern, von den Gemeinden oder gar direkt von den Bürgern betrieben, das muss sich noch zeigen. Wichtig aber ist, dass man jetzt die Gemeinden wachrüttelt. Der Hausärztemangel ist ein Problem das noch massiv zunehmen wird und das man schon heute angehen muss - gerade kleinere Gemeinden haben dies aber noch nicht realisiert und verschlafen diese Entwicklung – und schlussendlich betrifft es jeden einzelnen.

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