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Alterszittern – Mit dem Tremor leben oder einen Eingriff wagen?
Aus Puls vom 18.03.2013.
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Wenn der Tremor das selbstständige Leben bedroht

Für viele von Alterszittern Betroffene wird der Alltag zum Spiessrutenlauf: Wenn Hände bei bewussten Bewegungen zittern, fällt das Essen von der Gabel, Getränke schwappen über, die Unterschrift misslingt. Die Ursachen sind nicht wirklich geklärt.

Alterszittern ist eine der häufigsten Bewegungsstörungen. Es kann die Lebensqualität Betroffener erheblich einschränken. Nicht selten führt starkes Zittern zur Unselbständigkeit im Alltag. Viele Betroffene ziehen sich aus Angst vor peinlichen Situationen aus der Öffentlichkeit zurück. Etwa fünf Prozent der über 65-Jährigen dürften betroffen sein – manche Quellen nennen sogar 14 Prozent.

Typische Merkmale

Der Fachbegriff  für Alterszittern lautet «Essentieller Tremor», abgekürzt ET. «Essentiell» bedeutet: Das Zittern ist kein Begleitsymptom, wie bei der Parkinson-Krankheit. Es gibt auch keinen vorübergehenden Auslöser wie Angst, Frieren, Anstrengung oder Medikamente.

  • Art des Zitterns: ET zeigt sich unter Muskelanspannung, beim Ausstrecken der Arme (Haltetremor) und bei gezielten Bewegungen, zum Beispiel dem Anheben von Besteck oder eines Glases oder beim Einschenken (Aktionstremor). Auch die Feinmotorik ist betroffen (von Hand schreiben, Hemd zuknöpfen). In entspannter Ruhelage, wenn die Muskulatur locker ist, zittern Arme und Hände kaum.
  • Betroffene Körperteile: Am häufigsten Hände und Arme, meistens beidseitig. Seltener Kopf, Stimmbänder, oder der Rumpf. Im Unterschied zum Parkinson-Tremor tritt das Zittern an den Beinen fast nie auf.
  • Ausbruch und Verlauf: ET beginnt am häufigsten im sechsten Lebensjahrzehnt oder später. Eine Minderheit der Patienten erkrankt bereits im zweiten Lebensjahrzehnt. Das Zittern nimmt meistens über Jahre langsam zu und kann auch längere stabile Phasen haben.  

Ursachen und Veranlagung

Die Veranlagung spielt eine wichtige Rolle. Einige Risiko-Gene sind bekannt; Nachkommen von Betroffenen haben ein lebenslanges Vererbungsrisiko von circa 50 Prozent. Ein familiärer Zusammenhang besteht aber nur bei rund 60 Prozent der Fälle.

Vermutlich wird ET durch Störungen in der Kleinhirnrinde verursacht. Dafür spricht das typische Zittern bei willkürlichen Bewegungen. Unter Experten ist umstritten, ob ET eine einzige Krankheit ist, oder ob es eher durch verschiedene unterschiedliche Störungen bedingt ist.

Wichtig für die Diagnosestellung sind in erster Linie die Krankheitsgeschichte, klinische Merkmale und neurologische Untersuchungen. Das Messen des Zitterns in spezialisierten Zentren kann in schwierigen Fällen helfen. Wichtig ist, andere Ursachen für das Zittern auszuschliessen (z.B. Nebenwirkung von Medikamenten oder Parkinson-Erkrankung). Ein ET kann bis heute nicht mit Laborwerten nachgewiesen werden. 

Möglichkeiten der Behandlung

Viele Betroffene brauchen keine Behandlung, weil das Zittern leicht ist und sie gut damit leben können. Bei grösserem Leidensdruck kommen Medikamente zum Einsatz (Betablocker und Antiepileptika) Bei einem Teil der Betroffenen unterdrücken diese Medikamente den Tremor langfristig genügend. Wenn gegen sehr starkes Zittern Medikamente nicht helfen, kommt ein Hirnschrittmacher in Frage. Bei der tiefen Hirnstimulation (THS) werden feine  Elektroden tief im Hirn platziert. Die implantierten Elektroden geben Störstrom ab. Der Strom bremst die überaktive Hirnregion. In 90 Prozent der Fälle werden die Symptome durch die Behandlung gelindert.

Das Einpflanzen der Elektroden erfolgt im Rahmen eines wenig invasiven Eingriffs durch ein kleines Loch in der Schädeldecke. Der Kopf des Patienten wird in einem Spezialrahmen (stereotaktischer Ring) fixiert. Ring und bildgebende Verfahren ermöglichen eine präzise Steuerung. Das ist sehr wichtig, um Komplikationen zu vermeiden. Der Patient ist während des Eingriffs bei Bewusstsein, so dass die Wirkung bereits im Operationssaal getestet werden kann.

Die Elektroden werden mit einem Schrittmacher verkabelt. Das kleine Gerät  wird unterhalb des Schlüsselbeins im Fettgewebe der Haut eingepflanzt. Dieser zweite Teil der Behandlung erfolgt in Vollnarkose.

Komplikationen: Das Risiko für eine Gefässverletzung liegt unter einem Prozent, das Risiko für Infektionen, Kabelbrüche oder eine Lageveränderung der Elektroden unter zehn Prozent. Praktisch ausgeschlossen ist eine schwere Verletzung der Gehirnsubstanz. Das Hirngewebe kann der stumpfen Elektrode gut ausweichen.

Tiefe Hirnstimulation in vier Schweizer SpitälernTHS gehört zur Spitzenmedizin. Seit 2011 dürfen nur noch vier Schweizer Spitäler Tiefe Hirnstimulationen mit Krankenkassenvergütung aus der Grundversicherung durchführen: Inselspital Bern (zusammen mit dem Unispital Basel), Universitätsspital Zürich, Kantonsspital St. Gallen, CHUV in Lausanne.

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