Politisch ist die Organspende auf dem Tisch – wegen einer Volksinitiative, die 113'000 gültige Unterschriften zusammengebracht hat. Ziel der sogenannten Widerspruchslösung: Jeder ist automatisch Organspender, ausser man spricht sich zu Lebzeiten dagegen aus – oder die Angehörigen legen im Sinne des Verstorbenen einen Widerspruch ein.
Die Chancen für einen Systemwechsel stehen gut. Nun ist auch der Bundesrat umgeschwenkt: Neu unterstützt er den Wechsel.
Im Zweifelsfall dagegen
Zurzeit ist in der Schweiz nur Organspender, wer mit einer Spenderkarte oder einem Registereintrag einer Organentnahme aktiv zustimmt. Ist der Wille des potenziellen Organspenders nicht dokumentiert, müssen die Angehörigen im Sinne des Verstorbenen entscheiden.
Eine schwierige Situation, denn nur in den wenigsten Fällen hat der Verstorbene seinen Willen zu Lebzeiten klar geäussert. «Angehörige lehnen in dieser Situation eher ab», weiss Mathias Nebiker, Intensivmediziner und Präsident des nationalen Ausschusses für Organspende. «Man kann weniger falsch machen.»
Mathias Nebiker: «Die Praxis zeigt, dass die Zustimmung auf Intensivstationen bei 40 Prozent liegt». Obwohl laut Umfragen 70 bis 90 Prozent der Schweizer für eine Organspende sind.
Nutzen ist fraglich
Erfahrung mit der Widerspruchslösung haben umliegende Länder wie Österreich, Italien, Frankreich oder Spanien. Sie hatten im Jahr 2017 mit 24.5 – 47 eine höhere Spenderate als die Schweiz mit 17.2 Organspenden pro Million Einwohner.
Könnten in der Schweiz also Dank einer Systemänderung mehr Organe zur Verfügung stehen? Mit dieser Frage hat sich der Medizinethiker Markus Christen im Auftrag des Bundes beschäftigt. «Mehr Organe gibt es nur, wenn es einen Prozess gibt, in dem jeder standardmässig damit konfrontiert wird ja oder nein zu sagen. Ansonsten sind die Angehörigen in derselben Situation und wissen nicht, ob die Person sich das überlegt hat.»
Widerspruchslösung weckt Ängste
Ein Systemwechsel alleine wird den Organmangel nicht beheben, dafür neue Probleme schaffen. Davon ist Gesundheitsrechtler Christoph Zenger überzeugt. Er sieht durch die Initiative zentrale Rechte in Gefahr: «Personen, die nicht verstehen, was sie lesen, werden zu Organlieferanten.»
Diese Befürchtungen teilt Mathias Nebiker nicht: «Die Hoffnung ist, dass sich mit der Widerspruchslösung mehr Leute äussern müssen – und dadurch öfter der Wille von jedem berücksichtigt wird.»
Zwang oder Geschenk?
Sebastiano Martinoli, der ehemalige Vizepräsident von Swisstransplant lehnt die Widerspruchslösung klar ab. Er hatte ab den 1980er Jahren das Organspendewesen im Tessin erfolgreich aufgebaut. Unter seiner Führung stieg die Spenderate im Tessin stetig an.
Für die Steigerung der Quote ist in seinen Augen Information in allen Gesellschaftskreisen und die Ausbildung innerhalb des Spitals tragend: «Damit sie feinfühlig und taktvoll die Frage der Organspende an die Verwandten bringen können.»
Dass die Widerspruchslösung die Spendequote erhöht, denkt er nicht. Vielmehr könnte sie das Gegenteil bewirken: «Die grosse Gefahr bei der Widerspruchslösung ist, dass sich die Einstellung der Bevölkerung zur Organspende ändert», sagt Sebastiano Martinoli. Bis jetzt nehme die Gesellschaft die Organspende als etwas Positives wahr – als ein Geschenk. Ein Systemwechsel birgt das Risiko, dass die Gesellschaft die Organspende als Zwang erfasst.