Im Labor der Muskelforscherin Camille Peres an der Texas A & M University klingt es, als würden sich ein paar junge Leute am Synthesizer austoben. Einfach aus Spass und Tollerei. Bei einigen Sequenzen variieren Tempo und Lautstärke, bei anderen wiederum Tonhöhe und Lautstärke. Doch das klangliche Chaos hat Methode.
Mit Tönen gegen WhatsAppitis
Camille Peres erforscht Muskelschädigungen, die durch repetitive Bewegungsmuster zustande kommen. Viele Menschen können ein Lied davon singen: von der Empfindlichkeit im Daumen, wenn man auf seinem Smartphone zu häufig textet oder von den Schmerzen im Handgelenk, wenn man zu viel mit der Maus hantiert, zu lange auf der Computertastatur tippt. «Ich möchte etwa wissen: Können Beschwerden durch eine andere Handhaltung verhindert werden? Oder muss man diverse Geräte anders bauen, um Verletzungen zu vermeiden?» Dazu brauche es jedoch noch feinere Diagnosemethoden, erklärt Camille Peres.
Ob und wie sehr ein Muskel geschädigt ist, stellt man fest, indem man seine elektrische Aktivität während einer Bewegung misst. Traditionell werden diese Daten der sogenannten Elektromyographie (EMG) grafisch als Zickzacklinien aufgezeichnet. Ein Computerprogramm wandelt nun diese Daten ausserdem in Töne um. Gedacht sind diese als klangliche Unterstützung zur Grafik. An Variationen in Tempo, Lautstärke oder eben Tonhöhe könnten Mediziner dann ablesen, was falsch abläuft. Dreht man etwa das Handgelenk zu sehr? Oder spreizt man bei einer bestimmten Taste den Daumen auf unangenehme Weise?
Töne sollen Frühdiagnose ermöglichen
Jedes Gebrechen, jede Krankheit beginnt zunächst mit minimalen, schleichenden Veränderungen im Organismus. Das ist auch bei der Alzheimer-Krankheit der Fall. Noch lange ehe sich Vergesslichkeit und Orientierungslücken verdächtig häufen, kommt es zu ersten Stoffwechsel-Störungen einzelner Hirnregionen. Mit modernen bildgebenden Methoden lassen sich diese abbilden. Doch: «Im ersten Frühstadium ist die Diagnose oft Interpretationssache», erklärt James Keary von der New York University. «Der eine Arzt meint, ein bestimmter Fall sei recht mild; ein anderer findet, nein, also mild sei der gar nicht.»
Alzheimer ist nach wie vor unheilbar. Aber: Mit Medikamenten kann man den Ausbruch der Krankheit hinauszögern. Und je früher man damit beginnt, desto besser. Doch: Wie kann man die Interpretationsbandbreite bei der Diagnose verringern? Daran arbeiten James Keary und Agnieszka Roginska im Rahmen des Musik-Technologie-Projekts der New York University. Die von den Forschern entwickelte Verklanglichung macht sich zunutze, dass Alzheimer nicht alle Hirnareale im gleichen Masse erfasst. Im Scheitel- und Stirnlappen ist der Stoffwechsel jeweils verlangsamt, im Motorkortex jedoch nicht.
Die Drei-Ton-Methode
Der Computer übersetzt die Diagnosedaten aus der Durchleuchtung des Gehirns in einem Positronen-Emissions-Tomographen in Töne. Jeder Ton repräsentiert jeweils die Verklanglichung der Stoffwechseldaten eines dieser drei Hirnareale. «Bei einem gesunden Gehirn klingen die drei Töne wie ein einziger», erklärt die Musiktechnologin Agnieszka Roginska. Bei der Sonifikation eines eindeutig kranken Gehirns hört man deutlich drei etwas dissonante Töne. «Im Übergangsstadium von einem gesunden zu einem gerade an Alzheimer erkrankenden Gehirn ergeben die feinen Frequenzunterschiede einen schwingenden Ton.»
So klingt eine akustische Diagnose
Die Töne sollen die Diagnosebilder freilich nicht ersetzen, sondern ergänzen. «Das Aufnahmegerät, der Positronen-Emissions-Tomograph, bildet das Gehirn in Schichten ab. Ärzte gehen all diese Schichten oft ziemlich rasch durch. Dabei kann man leicht etwas übersehen. Wir bieten ein zusätzliches Mittel zur Diagnose an: Während der Arzt die Bilder ansieht, wird gleichzeitig sein Gehörsinn beschäftigt», so Agnieszka Roginska.
Kann man Alzheimer tatsächlich hören?
Die Forscher testeten Musikstudenten, wie korrekt sie verschiedene Alzheimerstadien über Töne bestimmen konnten. Die Treffsicherheit: erstaunliche 90 Prozent.
Nun beginnen Versuche, wie nicht musisch geschulte Ärzte mit der akustischen Zusatzinformation zurechtkommen. Erste Rückmeldungen klingen ermutigend. Besonders erfreut sind die Wissenschaftler über etwas, dass bei der Sonifikation immer eine Rolle spielt: Die Ärzte empfinden die Töne immerhin als angenehm genug, dass sie nicht versucht sind, sie abzudrehen.