Ärztinnen und Ärzte müssen heute sehr viel können: Das medizinische Wissen wird immer grösser, Krankheitsbilder immer komplexer. Da gehen die menschlichen Qualitäten schnell vergessen. Dabei wären genau diese Fähigkeiten sehr wichtig: das Zuhören, die Empathie mit den Patienten. Jacques de Haller, der ehemalige Präsident der Ärztevereinigung FMH , fordert deshalb einen neuen Eignungstest für angehende Medizinstudierende.
Anstatt nur intellektuelle Fähigkeiten zu testen, soll auch die Sozialkompetenz ein Teil der Aufnahmeprüfungen sein: «Medizin geht zwar um Wissenschaft und Pillen und um Rezepte und Röntgen, aber natürlich auch und grundsätzlich noch mehr um die Beziehung zwischen Arzt oder Ärztin und Patientin oder Patient», hält de Haller fest. «Das ist wirklich so wichtig, dass es Teil des Numerus Clausus und der Prüfung sein sollte.»
Mit dem jetzigen System fielen viele Anwärter durch die Prüfung, die menschlich top wären – dagegen schafften junge Männer und Frauen die Prüfung, die zwar hochintelligent, aber sozial inkompetent seien. Wie diese Forderung bei Medizinern ankommt? Christina Caprez hat im Spital Männedorf nachgefragt – und dabei auch erlebt, welchen Platz das Zwischenmenschliche im heutigen Spital-Alltag einnimmt.
Ist die moderne Medizin seelenlos? Bei der Behandlung kranker Menschen zwischen Spitalroutine und Zeitdruck, Pflegesätzen und Taxpunkten bleibt offenbar etwas auf der Strecke. Woran liegt es? Am ökonomischen Druck im Gesundheitswesen? Christian Hess war lange Jahr Chefarzt in einem Zürcher Spital. Heute setzt er sich mit der Akademie Menschenmedizin für eine Medizin ein, die den einzelnen Menschen ins Zentrum rückt. Angelika Schett hat mit Christian Hess über sein Anliegen gesprochen.