Müde und entkräftet liegt Agnès Matti auf den Kissen des Spitalbetts, beschützt von einem Baldachin aus orangen Tüchern über ihrem Kopf. Ihre Schwester Béatrice sitzt bei ihr und hält ihre Hand.
Ein Duft von Eukalyptus schwebt im Zimmer, es ist still und friedlich. Agnès Matti weiss: Ihr bleiben nur noch ein paar Tage – wenn überhaupt. Was hat sie für Gedanken?
«Ich habe keine Angst vor dem Tod, auch wenn er in der Nähe ist», sagt Agnès.
Vorbereiten fürs Danach
Als Hebamme in Afrika hat Agnès Matti während vieler Jahre Kindern ins Leben geholfen. Nun liegt sie, noch keine 60 Jahre alt, im Palliativzentrum des Inselspitals Bern.
Sie wird nicht mehr nach Hause zurückkehren, kämpft nicht mehr gegen den Krebs. Die Leukämiezellen in ihr haben endgültig Oberhand gewonnen.
Agnès Matti fühlt sich auf der Palliativstation sehr wohl. Betreut von Fachpersonen, die sie liebevoll pflegen, die ihre Schmerzen lindern, ihr zuhören, den letzten Weg mit ihr gestalten: «Sie liessen mir viel Zeit mit meinen Angehörigen. Wir konnten uns vorbereiten für die Zeit, wenn ich nicht mehr da bin.»
Viel Raum für Gespräche
Béatrice Matti, die in Spanien wohnt, hat ihre Schwester in den vergangenen Monaten so oft wie möglich besucht. Agnès habe lange gehofft, sie würde die Krankheit überwinden, sagt die Schwester.
«Sie fragte mich oft: Was würdest du an meiner Stelle tun?» Doch Agnès entscheide am Ende selber über ihren Körper, ihr Leben: «Das kann ihr niemand abnehmen.»
In den langen Gesprächen über Gott, die Welt und den Tod seien sie einander nahe gekommen, sagt Béatrice Matti. «Gewisse Spannungen zwischen Schwestern, die wir immer wieder hatten, sind wie verflossen.»
Freude und Kraft geben
«Palliative Care» – das klingt nach Endzeit. Man ist überrascht, wie viel auf der Station auch gelacht wird. Leiter Steffen Eychmüller sagt, sie versuchten mit Patienten und Angehörigen einen Weg zu finden, das Beste aus der Situation zu machen. Herauszufinden, was ihnen Freude mache und Kraft gebe. Wie geht das?
Eychmüller erklärt: Er und sein Team versuchten zu verstehen, wo sich eine sterbende Person gerade befinde: «Wir müssen akzeptieren, dass wir auf dem Weg nicht mitgehen können – auch für die Angehörigen ist das zum Teil sehr schwierig. Wir versuchen, an diesem Prozess teilzuhaben und ihn gleichzeitig nicht zu stören.»
«Es ist eine schöne Aufgabe»
Das Team arbeitet interprofessionell, das heisst: Der Professor, die Oberärztin, Therapeutinnen und Therapeuten, Pflegende, Seelsorger – sie alle begegnen einander auf Augenhöhe. Hierarchien sind zweitrangig.
Das Verhältnis zu den Patienten sei intensiver als auf anderen Abteilungen, sagt Oberärztin Annette Wochner: «Wir haben hier Zeit für den Prozess, es ist eine Begleitung auf einem Weg. Das ist manchmal traurig, aber es ist eine schöne Aufgabe.»
Wie der Abschied aussehen soll
Agnès Matti war und ist mit dem Tod vertraut, in Afrika hat sie viele Mütter und Kinder sterben sehen. 2015 erkrankte sie an Leukämie, Anfang Jahr kam der Rückfall.
Die Tortur der Chemotherapie wollte sie nicht mehr erleiden. Sie versuchte Alternativen, machte eine komplementärmedizinische Behandlung in Arlesheim. «Aber wenn es nicht hält, dann hält es nicht, dann ist das mein Schicksal», sagt sie.
Wie ihr Abschied aussehen soll, hat sie mit ihren Liebsten längst besprochen. Die Urne ist ausgewählt, der Platz am Fluss bestimmt, wo ein Feuer für sie brennen und ein Fest gefeiert werden soll.
Béatrice Matti ist sehr traurig, ihre jüngere Schwester zu verlieren. Und doch: «Es ist schön, mit ihr mitgehen zu können bis kurz vor dem Ende. Den letzten Schritt muss Agnès dann alleine machen.»