Als die 34jährige A.I. von ihrem Arzt in St. Gallen den Befund Brustkrebs bekam, war dies erst einmal ein Riesenschock: «Der Arzt machte mir dann aber Hoffnung, es gäbe das Medikament ‹Perjeta›, mit dem sie gute Erfolge bei meiner Art von Krebs erzielt hätten.» Doch die Therapie war nicht nur teuer, sondern auch noch nicht auf der Spezialitätenliste aufgeführt, der Pflichtliste der Krankenkassen.
Darum musste das Spital ein Ausnahmegesuch an die Krankenkasse schreiben, dass diese bezahle.
Faru A.I. hatte das Medikament schon vor der Operation bekommen, und es hatte ihren Krebs fast zum Verschwinden gebracht. Für den Einsatz nach einer Operation steckte es noch beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) in den Preisverhandlungen mit dem Hersteller.
Nach einigem Hin und Her zahlte ihre Krankenkasse schliesslich die Hälfte der Therapie-Kosten, die andere Hälfte übernahm die Hersteller-Firma des Medikaments.
Gleiche Ausgangslage, anderer Entscheid
In der genau gleichen Situation steckt die 78-jährige Frau H. Sie wollte das gleiche Medikament, in der gleichen Ausgangslage. Doch ihre Krankenkasse verweigerte das Medikament komplett. «War es das Alter? Ich weiss es nicht. Ich bekam einfach den Bescheid, der Vertrauensarzt habe so entschieden», erinnert sich H. «Ja, dieser Vertrauensarzt muss eben nicht einer Patientin in die Augen schauen.»
Ob man eine Kostengutsprache erhält, hängt auch davon ab, wer innerhalb der Kasse ein Gesuch beantwortet.
Das sei kein Einzelfall, sagt Thomas Ruhstaller, stellvertretender Chefarzt am Brustzentrum des Kantonsspitals St. Gallen. «Es hängt vom Aufwand ab, den ein Onkologe betreibt; ob er nach einem Brief aufhört oder zwei bis vier Stück schreibt.»
Manchmal erhalte man von der gleichen Kasse für das gleiche Problem verschiedene Antworten. «Ob man eine Kostengutsprache erhält, hängt also auch davon ab, wer innerhalb der Kasse ein Gesuch beantwortet», meint Ruhstaller.
Taktieren auf dem Buckel der Patienten
Dabei sind die Ausnahmegesuche in der Krebsbehandlung heute eher Alltag denn Ausnahme. Eine Studie aus dem Jahr 2013 hat ergeben, dass etwa ein Drittel der PatientInnen mindestens ein sogenanntes Off-Label-Medikament erhält, gut ein Viertel der Medikamente werden so verschrieben. «Tendenz steigend», sagt Onkologe Thomas Ruhstaller.
Ein Grund dafür ist, dass BAG und Pharma-Branche immer länger brauchen, um sich auf Preise für teure Krebsmedikamente zu einigen – selbst wenn das Medikament von Swissmedic schon zugelassen ist. Die Leidtragenden sind dann die Patienten, die in dieser Phase keinen sicher bezahlten Zugang zu den Medikamenten haben.
Es darf keine Grauzone geben, wo auf dem Buckel der Patienten gewartet und taktiert wird.
Thomas Ruhstaller hat Verständnis, dass das Gesundheitssystem sparen muss: «Aber was ich nicht will, ist eine Grauzone, wo manchmal jahrelang auf dem Buckel der Patienten gewartet und zwischen BAG und Kassen taktiert wird. Und in dieser Zeit werden eigentlich registrierte Medikamente nicht automatisch von der Versicherung bezahlt, die im Ausland schon vergütet werden.»
Ein weiterer häufiger Grund: Medikamente werden von Swissmedic in einer bestimmten Anwendung zugelassen, weicht die Praxis – teilweise dank besserem Wissen – von der engen Zulassung ab, ist dieser Off-Label-Use ein Grund für Krankenversicherer, die Zahlungspflicht abzulehnen. Sogar wenn die neue Verabreichungsform billiger ist.
Die Hersteller ihrerseits haben wiederum kein Interesse daran, eine Änderung der Zulassung zu erwirken, die nur Kosten verursacht und allenfalls ihre Preise senkt.
Gesetz schreibt Zahlung bei hohem Nutzen vor
Eigentlich wäre in Art. 71a-d der Krankenversicherungs-Verordnung geregelt, in welchen Fällen eine Krankenkasse Ausnahmegesuche bewilligen muss: Bei einem hohen Nutzen für die Patienten und fehlenden Behandlungsalternativen.
Voraussetzung für Ausnahmegesuche ist ohnehin, dass es sich um eine tödliche oder zumindest schwere Krankheit handelt. Modelle wie das neue « OLUtool Onko » sollen für Gleichbehandlung sorgen.
Wir wissen, welche Kassen schwieriger sind – aber das kann jederzeit ändern.
Doch die Realität sehe oft anders aus, sagt auch Stefan Greuter, Onkologe in Sargans: «Man kann zwei Patienten haben mit derselben Krankheit, mit der gleichen Situation. Beim einen Patienten wird’s bezahlt, beim anderen nicht.» Er wisse jeweils in etwa, welche Kassen schwieriger seien, doch das ändere auch – sei es wegen neuen Weisungen des Managements oder nach einem Wechsel des Vertrauensarztes, der entscheide.
Keine Transparenz für Patienten
Kann man als Patient also vorsorgen? Nein, meint Stefan Greuter: «Es gibt kleinere Kassen, die gute Bewertungen machen, und es gibt grössere Kassen, die regelmässig Therapien ablehnen, obwohl sie von Gesetzes wegen verpflichtet wären, sie zu übernehmen.»
Es hänge auch nicht davon ab, ob jemand privat oder allgemein versichert sei, erklärt Thomas Ruhstaller vom Kantonsspital St. Gallen.
Tatsache ist, dass Kassen abschliessend beurteilen können, ob sie zahlen wollen oder nicht. Und Patienten hätten oft weder die Energie noch die Zeit, um einen langen Gerichtsweg in Angriff zu nehmen, meint Stefan Greuter.
Für Patienten bleibt darum oft nur eines: Die Ärzte drängen, nicht aufzugeben. Und im Falle einer Ablehnung von der betreffenden Krankenkasse eine Verfügung mit Begründung und Unterlagen verlangen. Mit dieser kann man zur Ombudsstelle für Krankenversicherungen , die vermittelt.