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«Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg»

Triebe und Bauchgefühl bestimmen unser Handeln. Wie stark diese mit Wille und Vernunft gesteuert werden können, ist wissenschaftlich umstritten. Joachim Bauers Bestseller öffnet dem freien Willen neue Türen. Selbststeuerung könne gelernt und trainiert werden. Der Hirnforscher ist Gast im «Club».

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Proträt des Hirnforschers.
Legende: SRF

Joachim Bauer ist Professor für Psychoneuroimmunologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. Hirnforscher, Arzt und Autor des Bestsellers «Selbststeuerung – Die Wiederentdeckung des freien Willens».

SRF: Wie frei ist unser Wille?

Joachim Bauer: Einen freien Willen zu haben, bedeutet nicht, aus der Realität aussteigen zu können. Wir Menschen sind biologisch und sozial geprägte Wesen. Dessen ungeachtet bleiben uns jedoch beachtliche Freiheitsspielräume. Dank unseres Präfrontalen Cortex, also dank unseres Stirnhirns können wir in einer konkreten Situation die Folgen unterschiedlicher Handlungsoptionen abschätzen und auf dieser Grundlage dann auch eine freie Entscheidung fällen.

Was in unserem Leben wird unbewusst gesteuert, was durch unseren Willen?

Die meisten Informationen, mit denen sich unser Gehirn beschäftigt, werden – vor allem aus ökonomischen Gründen – automatisch und ohne Einschaltung unseres Bewusstseins verarbeitet. Unser Bewusstsein und unser Unbewusstes stehen aber in einem ständigen Austausch, vor allem dann, wenn wir wichtige Entscheidungen fällen müssen. Unser Unbewusstes verfügt über eine eigene Weisheit und füttert unser Bewusstsein ständig mit Informationen, zum Beispiel in Form von Intuitionen. Bei psychisch halbwegs gesunden Personen hat das Ich zum eigenen Unbewussten einen weit besseren Zugang als Freud annahm.

Stimmt das Sprichwort: wo ein Wille, da ein Weg?

In vielen Fällen stimmt es, aber nicht in allen. Negative soziale Umstände oder andere äussere Widrigkeiten können dazu führen, dass der Wille keinen Weg findet und resigniert. Ich würde es umgekehrt formulieren: Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg, dieser Satz gilt praktisch immer.

Dem Leistungswillen kommt oft das Lustprinzip in die Quere. Welche Kraft ist stärker?

Menschliches Verhalten wird durch zwei Fundamentalsysteme beeinflusst: Zum einen gibt es in unserem Gehirn ein bottom-up, also sozusagen ein von unten nach oben wirkendes Triebsystem, welches nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung strebt. Auf der anderen Seite gibt es ein top-down wirkendes Kontrollsystem, welches – wenn es intakt ist – das Triebsystem bremsen kann und uns dadurch befähigt, Befriedigungen zugunsten längerfristiger, höherwertiger Ziele aufzuschieben. «Selbststeuerung» ist die Kunst, beide Systeme in guter Balance zu halten.

Wie erwerben Kinder den eigenen Willen? Was können Eltern dazu beitragen?

Ohne Selbst kann es keine Selbststeuerung geben. Damit Kinder ein stabiles, in sich gefestigtes Selbst entwickeln können, müssen sie sich angenommen und geliebt fühlen dürfen. Um dieses Selbst dann aber auch steuern zu können, müssen Kinder – ab dem etwa dritten Lebensjahr – lernen, Grenzen zu beachten, vor allem lernen, zu warten, zu teilen und ihre Impulse zu kontrollieren. Das kann und soll liebevoll geschehen, dazu brauchen wir keine Rückkehr zur schwarzen Pädagogik!

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