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Alpaka-Nanoantikörper im Kampf gegen Krebs, Alzheimer und Co.
Aus Puls vom 04.03.2024.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 33 Minuten 52 Sekunden.
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Wunderwaffe Nanoantikörper Alpakablut – Hoffnung für die Medizin

Nanoantikörper stammen aus dem Blut der Familie der Kamele. Dank ihrer kleinen Grösse und starken Bindungsfähigkeit sind sie eine Präzisionswaffe im Kampf gegen Infektions- und Autoimmunkrankheiten, in der Krebstherapie und bei der Diagnose von Alzheimer. Auch die Universität Zürich stellt sie her.

Ihre Entdeckung war ein Zufall. Ende der 1980er-Jahre war die Angst vor HIV oder Hepatitis gross. Die Studenten der Freien Universität Brüssel weigerten sich deshalb, für die Identifikation und die Isolierung von Antikörpern für ein Praktikum, eigenes oder das Blut der Kolleginnen und Kollegen zu verwenden.

Glücklicherweise gab es im Gefrierschrank noch Dromedar-Blut.

Das Experiment förderte Überraschendes zutage: Neben den herkömmlichen Antikörpern entdeckten die Studenten einen weiteren, bis dahin unbekannten Antikörper. Das hatte man bis dato noch nie gesehen – nicht beim Menschen, Kaninchen oder Mäusen.

Seine Besonderheit: ein viel geringeres Molekulargewicht. Die Masse des Antikörpers ist geringer, da er nur zwei Aminosäuren-Ketten hat, anstatt vier Ketten wie ein herkömmlicher Antikörper.

Zufallsentdeckung bestätigt

Um sicher zu sein, wurde das Experiment mit Blut von Kamelen, Lamas und Alpakas aus dem Brüsseler Zoo wiederholt. Und tatsächlich hatten alle Tiere der Familie der Kamele diese sonderbaren Mini-Antikörper.

Aber handelt es sich bei den neu entdeckten Antikörpern nur um Überreste eines primitiven Immunsystems oder tatsächlich um funktionierende Antikörper?

Was sind Antikörper?

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Antikörper sind Proteine (Eiweisse) und für Menschen und andere Wirbeltiere Schlüsselelemente des Immunsystems.

Antikörper werden von bestimmten weissen Blutzellen produziert. Ihre Funktion ist es, Fremdkörper – sogenannte Antigene – die in den Körper eindringen, zu erkennen und zu eliminieren. Solche Fremdkörper können Krankheitserreger wie Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten sein, aber auch Gifte oder Krebszellen.

Antikörper binden an die Oberflächenstrukturen solcher Antigene und blockieren dort molekulare Strukturen, die für die Infektion von Zellen oder Geweben wichtig sind.

Um das herauszufinden, brauchten die Forscher ein lebendes Tier. Würde sein Immunsystem reagieren, wenn ihm zum Beispiel ein Virus gespritzt wird? Tatsächlich reagierte das Tier mit der Bildung der sonderbaren, kleinen Antikörper.

Die Entdeckung, die später die Medizin revolutionieren würde, machten die Wissenschaftler kurz darauf, indem sie feststellten, dass sich die Spitze des Antikörpers abtrennen lässt, ohne dass das Fragment seine Robustheit und Bindungsfähigkeit an Fremdkörper verliert: Der Nanoantikörper ist geboren.

Hoffnung für die Medizin 

Seine geringe Grösse und die enorme Bindungsfähigkeit machen den Nanoantikörper vielfältig einsetzbar.

  • Ein erster Durchbruch gelingt 2014 im Zusammenhang mit der Therapie einer bis heute potenziell tödlichen Krankheit: Anthrax, auch bekannt als Milzbrand. Ein Nanoantikörper ist in der Lage, in die Schutzhülle des Bakteriums Bacillus anthracis einzudringen und es zu zerstören.
  • 2019 folgt ein Medikament zur Behandlung einer seltenen Blutgerinnungsstörung. Der Nanoantikörper Caplacizumab kann Blutgerinnsel in der Mikrozirkulation von Organen und Geweben auflösen. Die Sterblichkeit der Erkrankung wird nochmals gesenkt.

Wissenschaftler weltweit forschen mit Nanoantikörpern, um präzisere Therapien bei Krebs und bessere Diagnostik-Verfahren bei Alzheimer zu finden. Dank ihrer guten Bindungsfähigkeit können die Nanoantikörper auch als Marker eingesetzt werden – um krankes Gewebe von gesundem zu unterscheiden oder Eiweissablagerungen im Gehirn zu detektieren.

Alpakas für die Schweizer Wissenschaft

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An der Nanobody Service Facility, einer Technologieplattform der Universität Zürich, stellen Wissenschaftler mithilfe von neun Alpakas Nanoantikörper her, die ganz spezielle Eigenschaften besitzen sollen. Auftraggeber sind Universitätsspitäler, ETH-Forschende und andere interessierte Forschungsgruppen.

Seit zwölf Jahren sammelt Tierarzt und Zellbiologe Saša Štefanić, Leiter und Mitbegründer der Nanobody Service Facility, mit den Tieren die genetischen Informationen der produzierten Antikörper und Nanoantikörper und erfasst sie in einer Art Bibliothek. Die Nachfrage steigt, geplant ist bereits eine Vergrösserung der Herde.

30 Jahre nach der Entdeckung, dem Wegfall des Patentschutzes für die kommerzielle Nutzung Anfang der 90er-Jahre, viel Grundlagenforschung und der durchschnittlich 15-jährigen Entwicklungsphase eines neuen Medikamentes, stehen viele neue Anwendungsmöglichkeiten kurz vor einer möglichen klinischen Zulassung.

Das Potenzial ist so gross, dass viele Forschungszentren nun eigene Lama- oder Alpaka-Herden besitzen.

Puls, 04.03.2024, 21:05 Uhr

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