Dass Walter Dellenbach dieser Tage den schönen Vorfrühling geniessen kann, ist alles andere als selbstverständlich.
Am 16. August wurde ihm plötzlich schwarz vor Augen – Herzstillstand. Zu seinem Glück sass damals nur wenige hundert Meter entfernt Michael Gfeller am Mittagstisch. Vom Notruf 144 alarmiert, setzte er sich in sein Auto und war wenige Minuten später vor Ort.
Gfeller war in der Lage, die Zeit bis zum Eintreffen der Ambulanz zu überbrücken. Walter Dellenbach ist sich sicher: «Wenn das Team First Responder nicht so schnell gewesen wäre, wäre ich heute nicht zu Hause.»
So wie Walter Dellenbach geht es in der Schweiz jedes Jahr bis zu 8000 Personen. Ihr Herz bleibt unerwartet stehen – ausserhalb eines Spitals, ohne Fachperson neben sich, die umgehend auf die lebensbedrohliche Situation reagieren könnte.
Dabei kommt es bei einem Herz-Kreislaufstillstand auf die schnelle Reaktion besonders an. Denn mit jeder Minute, die ohne Reanimation verstreicht, sinkt die Überlebenschance um 10 Prozent.
Oft treffen die Rettungsprofis zu spät ein. Im Schweizer Durchschnitt liegt die Überlebensrate bei nur gerade 5 bis 15 Prozent.
Medizinisch ausgebildete Laienhelfer, die noch vor den Profis vor Ort sind, erhöhen diese Überlebenschancen deutlich – im Tessin zum Beispiel um weit mehr als das Doppelte.
Die Sonnenstube der Schweiz ist Vorreiter in Sachen First Responder und hat das System seit über zehn Jahren kontinuierlich ausgebaut. Über 4000 eingetragene Laienhelfer sorgen mittlerweile dafür, dass im Durchschnitt bloss fünf Minuten vergehen, bis Hilfe vor Ort ist.
100 bis 200 Überlebende mehr im Kanton Bern
Dem Tessiner Vorbild folgte als erster der Kanton Bern. Seit sieben Jahren werden hier zivile First Responder in speziellen Kursen ausgebildet und im Ernstfall aufgeboten.
Damit haben sich die Überlebenschancen auch in Bern deutlich verbessert. Beat Baumgartner, Präsident des Vereins «First Responder BE», nennt beeindruckende Zahlen: «Wir rechnen mit 100 bis 200 zusätzlichen Überlebenden pro Jahr.»
Auf die Schweiz hochgerechnet und bei einem landesweiten Einsatz von zivilen First Respondern entspricht dies rund 1000 Menschenleben mehr, die nach einem Herzstillstand gerettet werden könnten.
Eindrückliche Zahlen. Doch «Puls»-Recherchen zeigen:
- Zivile First Responder sind erst in sieben Kantonen flächendeckend im Einsatz.
- Nur in sieben weiteren sind sie wenigstens auf dem Papier geplant.
- Kein Thema sind sie in den beiden Appenzell, in Glarus, Neuenburg, Thurgau, Zürich und St. Gallen.
In sieben Kantonen schon im Einsatz, in sieben noch kein Thema
Solothurn bald auch dabei
Immerhin: Die Zahl der First-Responder-Kantone wird demnächst auf acht steigen. Markus Zuber, ärztlicher Leiter der Solothurner Spitäler, ist vom Nutzen der Laien-Ersthelfer überzeugt und will ein entsprechendes System für den Kanton Solothurn aufbauen. Noch dieses Jahr sollen hier die ersten First Responder per App alarmiert werden.
Anders beispielsweise im Kanton St. Gallen. Hier sind zur Unterstützung der Sanität zwar auch Feuerwehren als First Responder im Einsatz. Laut Hochrechnung könnten jedoch mit zusätzlichen zivilen Laienhelfern 40 bis 50 Menschenleben mehr gerettet werden.
Günter Bilstein, Leiter Rettung St. Gallen, stellt dies nicht in Abrede. Er sieht den Rettungsdienst aber ausserstande, eine solche Organisation auf die Beine zu stellen. «Wir als Rettungsdienst können vielleicht Teil eines solchen Netzwerkes sein und unseren Beitrag leisten in Bezug auf den Notruf. Wir können auch Daten liefern», aber man sei als Organisation nicht in der Lage, so etwas aufzubauen und zu erhalten.
Bildstein hofft stattdessen auf initiative Personen wie Beat Baumgartner oder Markus Zuber, die diese Projekte nebst ihrer normalen Arbeit vorantreiben. «Dann braucht es Vernetzung mit ganz vielen Partnern, Finanzen, und viel Engagement, um die Leute anzuwerben und bei der Stange zu halten.»
Beat Baumgartner kann diese Argumentation als Rettungdienst-Leiter eines Thuner Spitals bis zu einem gewissen Grad verstehen. Es brauche immer jemanden, der Herzblut in die Sache steckt. «Aber ich denke, die Rettungsdienste sind schon in der Pflicht, das anzureissen und Energie zu investieren.»
Der Lohn der Mühe: Mehr gerettete Leben. Wie das von Walter Dellenbach.