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Zwei Jahrzehnte bunte Hirnbilder – ein kritischer Rückblick
Aus Kontext vom 20.02.2013. Bild: colourbox
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Zwei Jahrzehnte bunte Hirnbilder – ein kritischer Rückblick

1991 erstrahlte die Hirnforschung in neuer Farbe: Es erschienen die ersten Bilder einer revolutionären Technik namens «funktionelle Magnetresonanztomographie». Fortan liess sich dem Gehirn detailliert und in 3D bei der Arbeit zuschauen – was nur scheinbar auch einen Einblick in die Psyche eröffnete.

Titelblatt der Science-Ausgabe vom 1. November 1991 mit der eingefärbten MRI-Aufnahme eines menschlichen Gehirns
Legende: Das denkwürdige Titelblatt SRF

Am ersten November 1991 prangte auf dem Titelblatt des renommierten Fachmagazins «Science» das erste bunte Hirnbild mit gelb-orange-roten Farbklecksen, das auf die funktionelle Magnetresonanztomographie zurückging. Dieses ikonische Bild bescherte damals so manchem jungen Hirnwissenschaftler Gänsehaut, erinnert sich Lutz Jäncke. Er ist heute Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich. Damals war er als junger Wissenschaftler an vorderster Front beteiligt an der Forschung mit den ersten Hirnbildern. Lutz Jäncke sagt: «Das war damals eine Sensation! Wir dachten durchaus, wir könnten mit dieser neuen Methode den Durchbruch erzielen.»

Komplizierte Berechnungen

Dabei darf man nicht vergessen, dass die bunten Hirnbilder mitnichten eine Art Foto des Gehirns bei der Arbeit sind. Vielmehr stecken hinter jedem Farbklecks komplizierte Berechnungen. Doch auch die komplizierteste Berechnung war den Neurowissenschaftlern rund um die Welt die Mühe wert. Denn die funktionelle Magnetresonanztomographie bot einen einmalig detaillierten 3D-Einblick ins Gehirn. So schossen in den 1990er-Jahren die Labors, die solche Forschung betreiben wollten, wie Pilze aus dem Boden. Die Veröffentlichungen mit Hirnbildern nahmen rapide zu und bald konnte man sich auch in der Öffentlichkeit kaum mehr retten vor vielversprechenden Resultaten.

Bald schon war von ganz verschiedenen übers ganze Gehirn verteilten Arealen zu lesen, die jeweils Sitz bestimmter psychischer Zustände seien: vom Hörzentrum über das Belohnungs- und Angstzentrum bis hin zu Zentren für so Komplexes wie die Liebe oder die Moral. 

Schwierige Lokalisierung

Doch damit fingen auch schon die Probleme an. Denn so einfach lassen sich psychische Zustände im Gehirn nicht lokalisieren. Die meisten Hirnareale leuchten nämlich nicht nur bei einem, sondern bei verschiedenen psychischen Prozessen auf. Umgekehrt aktivieren die meisten psychischen Prozesse ihrerseits verschiedene Hirngebiete. Es gibt also kaum Eins-zu-eins-Übereinstimmungen zwischen psychischen Prozessen und Hirngebieten.

Eindrücklich zeigte das ein berühmter und in vielen Studien erwähnter Patient mit dem Pseudonym «Roger». In Rogers Gehirn sind Teile zerstört, die bei Gesunden besonders dann aktiv sind, wenn diese über sich selbst nachdenken, sich selber im Spiegel betrachten oder «ich» sagen. Also – schlossen bisher unzählige Studien – seien diese Hirnareale zuständig für das Selbstbewusstsein. Ohne diese Hirnteile dürfte sich Roger entsprechend gar nicht mehr selber erkennen, dürfte kein Ich-Bewusstsein mehr haben, sagt der Forscher David Rudrauf, der intensiv mit dem Patienten Roger gearbeitet hat. Doch Roger besteht die meisten psychologischen Tests zur Messung des Selbstbewusstseins, erkennt sich auch problemlos im Spiegel.

Wenn also bestimmte Hirnareale in Studien bei einer bestimmten geistigen Tätigkeit – wie dem Erkennen seiner selbst – aktiv sind, bedeute das noch lange nicht, dass sie für diese geistige Tätigkeit auch notwendig seien oder gar deren Ursache, schliesst David Rudrauf.

«Nichts gelernt»

Namhafte Kritiker, wie der emeritierte Psychologieprofessor Max Coltheart von der Macquarie University in Australien, sagen deshalb: «Mit der Verortung von psychischen Zuständen im Gehirn kann man allenfalls etwas übers Gehirn lernen, nicht jedoch über psychische Zustände. Über den Geist hat man durch die Hirnbilder noch gar nichts gelernt.»

Ganz so kategorisch sieht es Lutz Jäncke nicht. Immerhin: Übers Gehirn habe man mit der funktionellen Magnetresonanztomographie tatsächlich eine Menge gelernt, findet Lutz Jäncke, beispielsweise darüber, wie individuell und anpassungsfähig das Gehirn sei.

Trotzdem haben die bunten Hirnbilder nach zwanzig Jahren auch für ihn an Strahlkraft verloren. «Mich langweilt das Verfahren bereits ein wenig. Für die Fragestellungen, die mich interessieren, ist die Methode nicht mehr wirklich relevant.»

Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten

Ins Positive gewendet könnte man auch sagen: Endlich kann die funktionelle Magnetresonanztomographie frei von übertriebenen Erwartungen und fetten Schlagzeilen ihren Dienst tun. So sieht es der renommierte Neurowissenschaftler Greg Miller: «Man kann sagen, dass die funktionelle Magnetresonanztomographie erwachsen geworden ist, die Pubertät hinter sich gelassen hat, bei der alles möglich schien und grosse Versprechen gemacht wurden.» Nun müsse man etwas demütiger an die Sache ran.

Lutz Jäncke seinerseits warnt aber auch: «Man muss die Magnetresonanztomographie zwar kritisch betrachten, aber man darf nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.»

Wie entstehen die bunten Hirnbilder?

Mit der fMRT misst man nicht direkt die Hirnaktivierung, sondern schliesst indirekt darauf aufgrund von Durchblutungsveränderungen im Gehirn. Dabei macht man sich die unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften von sauerstoffhaltigem und sauerstoffarmem Blut zu nutze.

fMRT-Aufnahme
Legende: Mit der fMRT wird Hirnaktivität farbig dargestellt. www.pnas.org

Bei der Aktivierung von Hirnarealen wird Sauerstoff verbraucht, worauf neues, sauerstoffreiches Blut nachfliesst. Der daraus resultierende Sauerstoffüberschuss wird mit der fMRT gemessen.

Um auf die Hirnaktivität rückzuschliessen, wird das Gehirn bei einer bestimmten Aufgabe gemessen. Dann wird das Messresultat mit einer Kontrollbedingung verglichen. Durch statistische Berechnungen ergibt sich so ein grösserer oder kleinerer Aktivitätsunterschied, der farblich kodiert wird und so die bunten Hirnbilder ergibt.

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