In ungefähr zehn Jahren werde die 1.5-Grad-Marke überschritten, so die Prognose einer Studie mittels künstlicher Intelligenz. Ist der Algorithmus ein Miesepeter oder einfach Realist?
Eine Frage, die die Welt umtreibt: Wie viel Zeit und Handlungsspielraum bleiben uns noch, bis sich die Erde um kritische 1.5 Grad erwärmt hat? Diese Schwelle könnte laut künstlicher Intelligenz bereits zwischen 2033 und 2035 erreicht sein. Selbst wenn wir es im kommenden Jahrzehnt schaffen, die Treibhausgasemission zu senken. Zu diesem Schluss kommt eine
amerikanische Studie
, für die Forschende künstlicher Intelligenz Klimamodelle zum Rechnen gaben.
Mehr zur Studie: KI als neuronales Netzwerk
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Für die Prognosen trainierten Forschende der Universität Stanford eine künstliche Intelligenz mit Klimasimulationen. Die KI sei eine Art neuronales Netzwerk, das Muster in grossen Datenmengen erkennt,
heisst es in der Mitteilung.
Nachdem die KI die klimatischen Gleichungen und Kurven gelernt hat, beauftragen die Forschenden die Software vorauszusagen, wann bestimmte Temperaturschwellenwerte erreicht würden. So berechnete die KI beispielsweise in einem Szenario mit hoher Luftverschmutzung, dass um 2050 bereits die 2-Grad-Marke erreicht würde.
Als Härtetest wurden historische Entwicklungen überprüft: Das Modell berechnete Temperaturanstiege, die bereits eingetreten sind. Anhand von Daten zwischen 1980 bis 2021 schätze die KI die aktuelle Erwärmung von 1,1 Grad Celsius bis 2022 richtig ein. Auch die Anstiege in den letzten Jahrzehnten berechnete sie korrekt und bestand den Härtetest somit. In der Mitteilung sagt Noah Diffenbaugh, einer der Studienautoren, dazu: «Die Tatsache, dass die KI eine so hohe Genauigkeit hat, erhöht mein Vertrauen in ihre Vorhersagen über die zukünftige Erwärmung.»
Der Algorithmus der Forschenden aus Stanford sei kein Miesepeter, ordnet Sonia Seneviratne die Studie ein. Die Schweizerin ist eine der meistzitierten Klimawissenschaftlerinnen der Welt. Die Berechnungen der KI stimmen grundsätzlich mit dem
sechsten IPCC-Bericht
überein.
An mehreren dieser Berichte im Auftrag des Weltklimarats arbeitete Seneviratne mit. «Mit anderer Methodik stellt die KI ähnliche Prognosen auf und bestätigt: Uns läuft die Zeit davon», so die Klimawissenschaftlerin und Professorin an der ETH Zürich.
IPCC-Berichte im Auftrag des Klimarats
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Im Auftrag des UNO-Weltklimarats (IPCC) tragen Wissenschaftler weltweit den aktuellen Stand der Klimaforschung zusammen. In einem Zyklus von sechs bis zehn Jahren werden diese umfassenden Forschungsüberblicke zur Klimaerwärmung und ihre Folgen erstellt. Die
IPCC-Berichte
bieten Grundlagen für wissenschaftsbasierte Entscheidungen der Politik. Der Weltklimarat tagt in Genf und zählt 195 Mitglieder.
Die Mitarbeitenden des IPCC arbeiten ehrenamtlich.
Doch in einer Sache ist die KI noch pessimistischer als der Weltklimarat: Selbst bei einem Szenario mit drastischen CO₂-Einsparungen sei es unwahrscheinlich, den Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius zu halten, sagt der Algorithmus voraus. Sprich: Das wichtigste Klimaziel des Pariser Abkommens würde in diesem Fall nicht eingehalten.
KI als wichtige Ergänzung
Die Zwei-Grad-Erwärmung könnte dank geringer Umweltverschmutzung zwar noch bis 2054 aufgehalten, aber nicht verhindert werden. Die Studie betrachtet aber nicht das gravierendste Szenario des Weltklimarats, das auf eine Stabilisierung der globalen Erwärmung auf zirka 1.5 Grad zielt. «Es ist unklar, wie die Ergebnisse der KI bei diesem Szenario aussehen würden», sagt Seneviratne.
Rechnen sich Menschen die Zukunft also einfach schön? Keineswegs, meint die Klimawissenschaftlerin Seneviratne. Sie erklärt: «Diese physikalischen Gleichungen, auf welchen die Klimaprognosen beruhen, könnten bei gewissen Schwellenwerten ausgehebelt werden. Diese Überlegungen werden von der KI nicht einbezogen und es wurden keine entsprechenden Korrekturen vorgenommen.»
Zudem sei auch bei solchen Berechnungen mittels KI schliesslich die Menschen dahinter relevant. «Sie entscheiden, mit welchen Informationen und Modellen sie die Systeme trainieren.»
Darüber hinaus ist jenes Forschungssystem nur mit einer Auswahl von Klimamodellen trainiert worden, für die IPCC-Berichte werden weitaus mehr Daten berücksichtigt. Trotzdem: Von KI aufgestellte Prognosen seien eine wichtige Ergänzung zu den bereits etablierten Modellen, so Seneviratne. Auch sie forscht damit.
Anlass für Ansporn oder zum Aufgeben?
Die Klimaforscherin sieht diese pessimistischen KI-generierten Prognosen nicht als Anlass, aufzugeben. Im Gegenteil: Sie werde davon angespornt, an klimatischen Bedingungen und unterschiedlichen Prognosen weiterzuforschen.
Doch etwas ist ihr dabei wichtig: Weniger die exakten Jahreszahlen sollten im Fokus stehen, sondern viel mehr die Einsicht: «Es gibt kein Zurück mehr.» Die Erwärmung der Erde, die wir jetzt schon erreicht haben – mitsamt spürbaren Klimafolgen wie Dürren und Hitzeperioden –, werde mehrere tausend Jahre bestehen bleiben. Als Lösung helfe nur: weniger CO₂ produzieren und auf fossile Brennstoffe wie Erdöl und Kohle verzichten. KI hin oder her.
Erwärmung: Jedes halbe Grad Celsius hat es in sich
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Jedes weitere halbe Grad verursacht deutlich mehr Hitze, häufigere Starkniederschläge und Dürren sowie Rückgänge des Meereises, der Gletscher und Permafrosts, wie im sechsten IPCC-Bericht festgehalten wird. Bereits bei einer 1,5 Grad Erwärmungen häufen sich diese Extremereignisse. Die Veränderung extremer Temperaturen wächst proportional zur globalen Erwärmung. Beispielsweise werden Temperaturen an den heissesten Tagen in den mittleren Breiten und Regionen mit markanter Trockenheit nochmal bis zu zweimal mehr zunehmen als ohnehin bereits im globalen Durchschnitt.
Bei den Schwellenwerten oder auch sogenannten Kipppunkten geht es um eine kritische Grenze, wenn diese überschritten wird, kann es zu unumkehrbaren und/oder oft abrupten Veränderungen im Klimasystem führen. Laut des Weltklimarats IPCC und etlichen weiteren Untersuchungen können solche Kipppunkte bereits im Bereich von 1,5 bis 2 Grad Celsius globaler Erwärmung wahrscheinlich überschritten werden. Wird es noch wärmer, könnte es unter anderem die Folge haben, dass das arktische Meereis vollständig auftaut, Korallenriffe weitgehend verloren gehen oder etliche Tier- und Pflanzenarten aussterben.
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