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Frühe Blüte – Was bedeutet sie für die Natur?
Aus Wissenschaftsmagazin vom 09.03.2024. Bild: IMAGO / blickwinkel
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Klimawandel Die Frühlingspflanzen sind zu früh dran – mit welchen Folgen?

Im Garten blühen die Aprikosenbäume, im Wald wächst der Bärlauch und bildet schon ganze Teppiche. Die Blühzeiten der Frühlingspflanzen haben sich verschoben. Was bedeutet das langfristig für unsere Flora?

Vor dem Hauptgebäude des Botanischen Gartens Bern steht ein riesiger Magnolienbaum. «Wir schliessen jedes Jahr Wetten ab, wann die erste Magnolienblüte aufgeht», sagt der Botaniker Adrian Möhl. «Doch so früh wie dieses Jahr ist der Baum noch nie dran gewesen.» Bereits vor Wochen habe die Magnolie ihre Blütenknospen geöffnet.

Adrian Möhl, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Botanischen Gartens und von InfoFlora Schweiz, weist auf ein Beet gelber Blümchen: «Schaftdolden», erklärt der Botaniker, «die in der Regel den Frühling anzeigen.» Dieses Jahr allerdings habe die Schaftdolde schon im Februar zu blühen begonnen.

Alles viel zu früh

Das Bild wiederholt sich, in Variationen: Auf einer Wiese stehen bereits verblühte Schnee- und Märzglöckchen, Ziersträucher wie Kornelkirsche oder Scheinhasel stehen in voller Blüte. Der Gemeine Haselstrauch blühte schon im Dezember, jetzt hängen seine Blütenkätzchen längst braun geworden an den Zweigen.

Das Fazit von Adrian Möhl ist eindeutig: «Wo man auch hinschaut, es ist alles viel zu früh.»

Dieser Eindruck täuscht nicht. Das belegen zum Beispiel die phänologischen Messreihen des Bundesamts für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz.

Phänologisches Beobachtungsnetz

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Das phänologische Beobachtungsnetz von MeteoSchweiz umfasst 160 Stationen, an denen schweizweit bestimmte Pflanzen von Freiwilligen nach bestimmten Merkmalen beobachtet werden. Dazu zählen der Beginn der Blüte, die allgemeine Blüte, Blattentfaltung und Fruchtreife oder die Blattverfärbung im Herbst.

Anhand dieser Informationen untersucht MeteoSchweiz auch die Auswirkungen des Klimawandels auf die Vegetation. Zudem dienen die Beobachtungen dazu, um Prognosemodelle für den Blühbeginn zu erstellen.

Die aktuellen Daten von Hasel und Huflattich zeigen: Beide Pflanzen haben einen Vorsprung von rund drei Wochen – bezogen auf den Mittelwert der letzten 30 Jahre. In höheren Lagen betrage der Vorsprung sogar vier bis fünf Wochen, sagt Regula Gehrig, die für die Auswertung der Daten zuständig ist.

Frühe Blüte bei allen Pflanzen – mit welchen Folgen?

Damit wiederhole sich das Bild der letzten Jahre: Auch 2023 blühte die Hasel extrem früh ­– schon in der ersten Januarhälfte –, in den Vorjahren war es ähnlich. Regula Gehrig stellt zu den Frühlings-Blühzeiten fest: «Der Trend zu einem früheren Beginn ist bei allen Pflanzen offensichtlich, und er ist deutlich früher als vor 20, 30 Jahren.»

Was bedeutet das langfristig für die Schweizer Flora? Adrian Möhl denkt, dass viele einheimische Arten, vor allem die kälteliebenden, die jetzige Entwicklung irgendwann nicht mehr mitmachen werden. Er prognostiziert der Schweiz eine «Mediterranisierung» der Flora, das heisst: «Pflanzen aus dem Mittelmeerraum könnten sich auch in der Schweiz immer mehr verbreiten.»

Weniger Vielfalt, mehr Verluste

Für manche der sesshaften Pflanzen aber dürfte es schwieriger werden, sich dem Klimawandel anzupassen. «Die werden nicht gegen Norden respektive in höhere Lagen ausweichen können, denn so, wie es jetzt abläuft, geht das Ganze viel zu schnell», sagt Adrian Möhl.

Sollte der Wandel in diesem Tempo weitergehen, dann werde es künftig zu grossen Verlusten kommen, auch im Mittelmeerraum.

Internationale Trends

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Auch aus internationaler Perspektive bestätigt sich, dass viele Pflanzenarten 2024 wie schon in den Vorjahren sehr früh dran sind. Das zeigen u.a. die Daten der internationalen phänologischen Gärten, einem Netzwerk von 60 Gärten von Finnland bis Portugal, dessen «Muttergarten» in der Nähe von München ist. Der Schweizer Garten befindet sich bei der WSL in Birmensdorf und ist einer der ältesten des Netzwerks.

Das Besondere dieser Gärten: Sämtliche Bäume und Sträucher des Netzwerks sind genetisch identisch, da sie in München gezogen und von dort aus europaweit verteilt werden. «Das heisst, wir können Unterschiede aufgrund der Genetik ausschliessen und im direkten Vergleich die klimatischen Einflüsse auf die Pflanzen beurteilen», sagt Koordinatorin Susanne Jochen-Oette.

Jochen-Oette ist Professorin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt für Physische Geographie, Landschaftsökologie und nachhaltige Ökosystementwicklung. Sie prognostiziert dem Mittelmeerraum künftig nicht nur Pflanzenverluste. Vielmehr werde es aufgrund der Trockenheit mancherorts zu einer «Desertifikation» kommen: Stellen, die komplett frei sind von Vegetation, häufig auch als Folge einer falschen Bewirtschaftung.

Die einheimische Flora wird in diesem Szenario – das auch andere Fachleute teilen – massiv an Vielfalt verlieren.

Doch man könne etwas dagegen tun, auch als Einzelperson, sagt der Botaniker von InfoFlora, nämlich: konsequent auf einheimische Pflanzen setzen. «Im Hinblick auf den Klimawandel sollte man eher Pflanzen nehmen von Trockenwiesen, beziehungsweise von trockenen Standorten.» Eignen würden sich zum Beispiel Wiesensalbei oder die Aufrechte Trespe.

Wiesensalbei
Legende: Der Wiesensalbei ist eine einheimische Pflanze, die mit heissen und trockenen Umweltbedingungen gut zurechtkommt. IMAGO / Panthermedia

Das erfordert ein gewisses Umdenken beim Gärtnern auf dem eigenen Pflanzplatz oder dem Balkon. Doch so hat die einheimische Flora langfristig vielleicht doch eine Chance.

Wissenschaftsmagazin, 9.3.2024, 12:40 Uhr

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