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Kühlen ist das neue Heizen
Aus Rendez-vous vom 09.08.2023. Bild: Keystone/ JENS BÜTTNER
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Kühlen ist das neue Heizen Hitze: Schweiz «gefährlich unvorbereitet»

Die Schweiz kann heizen. Aber nicht kühlen. Das Land sei «gefährlich unvorbereitet» auf Hitzeperioden, warnen Forschende.

Die Schweiz braucht einen Plan. Denn sie wird weltweit mit dem stärksten Temperaturanstieg konfrontiert werden. Die grösste absolute Hitze werden Menschen in Subsahara-Afrika ertragen müssen. Das wird in einer neuen Studie der Universität Oxford bestätigt.

Überrascht hat das Wissenschaftsteam um Energieforscherin Nicole Miranda jedoch, wie stark mit den steigenden Temperaturen der Kühlungsbedarf im globalen Norden zunehmen wird, wenn die Durchschnittstemperatur weltweit um zwei Grad steigt.

In der Schweiz ist es schon heute deutlich wärmer

Die grösste relative Veränderung – also den stärksten Temperaturanstieg im Vergleich zum bisher gewohnten gemässigten Klima – wird die Schweiz erfahren. Gefolgt von Grossbritannien und Norwegen.

In der Schweiz ist es schon heute zwei Grad wärmer als vor 150 Jahren. Das hat vor allem mit der zentralen geografischen Lage der Schweiz in Europa zu tun: Hitzetage werden mit dem Klimawandel häufiger und länger dauernde Hitzeperioden ebenfalls.

Wir bauen und kühlen falsch

Doch der Norden Europas sei «dangerously unprepared» – gefährlich unvorbereitet, sagt Nicole Miranda. Hier habe die Kühlung von Häusern keine Tradition – weder architektonisch noch mit nachhaltigen Kühlsystemen. Wir bauten und kühlten falsch.

Das sieht auch Sven Eggimann so. In der Schweiz werde noch immer für den Winter gebaut. Nicht für die immer heisseren Sommer und schon gar nicht für Hitzeperioden, sagt der Energiesystemforscher an der ZHAW.

Kein Plan im Umgang mit der Hitze

Gebäude, die in den letzten 20 Jahren gebaut wurden, benötigen den Grossteil der Kühlung. Grosse Fenster zur Südseite beispielsweise holen zwar im Winter Wärme in die Wohnung. Aber im Sommer eben auch die Hitze. Häuser aus Stein oder Beton schützen vor Kälte, erwärmen sich in Hitzephasen aber stark und kühlen nur langsam aus. Die Umgebung tue das Übrige, sagt Eggimann: «Wir haben urbane Hitzeinseln. Viele Städte sind wenig grün, sondern grau und versiegelt.» Es brauche mehr Bäume, Schatten und kühlendes Wasser, damit die Gebäude sich weniger aufheizten.

Wo die Hitze am grössten wird

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Die Klimaerwärmung wird Afrika besonders stark belasten. Die zehn Länder, die bei einem Zwei-Grad-Szenario mit den historisch höchsten Extremtemperaturen rechnen müssen, liegen allesamt um den Äquator. Wobei die Subsahara-Region den stärksten Kühlungsbedarf haben wird. Die Zentralafrikanische Republik führt die Liste der am meisten belasteten Länder an. Es folgen Burkina Faso, Mali und Südsudan.

Die Hitze belastet Länder, die zu den ärmsten der Welt gehören. Die steigenden Temperaturen werden die sozio-ökonomische Entwicklung und die Infrastruktur zusätzlich unter Druck setzen.

«Afrika wird die Hauptlast eines Problems tragen, das es nicht selbst verursacht hat», bilanziert Co-Autorin Radhika Khosla. Es brauche mehr Anstrengungen, um Klimagerechtigkeit zu erreichen.

Mit passiver Kühlung – also Fenster in der Nacht offenhalten und am Tag verdunkeln – lässt sich der Kühlungsbedarf um bis zu 80 Prozent senken. Aber wenn es über Tage und Wochen sehr heiss ist, reicht das nicht. Energiespezialisten befürchten deshalb, dass auch in der Schweiz – wie in anderen Ländern – die Zahl der Klimaanlagen massiv ansteigt. Vor allem die kleinen, mobilen Klimaanlagen sind Stromfresser. Sie brauchen zwanzigmal mehr Strom als ein Ventilator.

Kühlen ist das neue Heizen

Wenn es nicht gelinge, diese Entwicklung zu stoppen, komme das Schweizer Stromnetz in 30 bis 40 Jahren an seine Grenzen und darüber hinaus – dann, wenn das Kühlen zum neuen Heizen werde, so Energiesystemforscher Sven Eggimann.

Aber es gibt sie, die Alternativen für energieintensive Klimaanlagen: Reversible Wärmepumpen, die im Winter heizen und im Sommer kühlen. Oder noch nachhaltiger: Fernkühlsysteme, die Kälte aus dem Seewasser holen – wie in Zürich, Genf oder Zug.

Für das alles braucht es Strategien – und zwar national und jetzt, mahnen die Studienautorinnen. Doch die Schweiz hat keinen Plan. Es sind die grossen Städte, die vorangehen und damit vielleicht bewirken, dass die Schweiz die Liste «gefährlich unvorbereiteter» Länder in Zukunft nicht mehr anführen wird.

SRF 4 News, Rendez-vous, 09.08.2023, 12:30 Uhr

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