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Atlantische Umwälzströmung Wärmende Meeresströmung: Stottert oder kollabiert sie gar?

Die Atlantische Umwälzströmung bringt warmes Wasser in den Norden und sorgt in West- und Nordeuropa für ein mildes Klima. Durch den Klimawandel droht die Strömung zu stottern oder gar zu kollabieren. Wie wahrscheinlich ist das Schreckensszenario?

Meeresströmungen können unser Klima massgeblich beeinflussen. Zum Beispiel die gewaltige Atlantische Umwälzströmung. Würde sie versiegen oder sich deutlich abschwächen, wäre es in der Schweiz ein bis zwei Grad kühler. Im Norden Norwegens sogar acht bis zehn Grad. Landwirtschaft würde in Nordeuropa damit nahezu unmöglich.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Klimaerwärmung einen Kollaps dieser Strömung bewirkt? Fast monatlich erscheinen neue Studien zu dieser Frage, die Resultate liegen oft weit auseinander.

Die Atlantische Umwälzströmung: Eine gewaltige Wärmepumpe

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So heizt warmes Meerwasser aus dem Süden den Norden auf: Eine Strömung an der Meeresoberfläche von Süden bringt salzige, warme Wassermassen in den Nordatlantik. Das Meer gibt unterwegs Wärme an die Luft ab, erwärmt sie also, und kühlt sich dabei stetig ab. Südlich von Grönland ist dieses Wasser dann kalt. Weil das «angeströmte» Wasser aber salziger ist als die anderen Wassermassen vor Ort, ist es schwerer. Das salzigere Wasser sinkt zwei, drei Kilometer in die Tiefe ab, und strömt unten wieder zurück bis ins Südpolarmeer.

Der bekannte Golfstrom ist ein Teil der atlantischen Umwälzströmung. Der Golfstrom wird vor allem durch die Westwinde angetrieben, nicht durch einen Unterschied in den Salzkonzentrationen. Der Golfstrom dreht ausserdem ab, und nimmt die Wärme wieder in den Süden mit.

Die Atlantische Umwälzströmung verschafft Europa deutlich mildere Temperaturen als anderen Regionen auf gleicher nördlicher Breite. Doch der Motor gerät ins Stottern. Mit der Klimaerwärmung regnet es im Norden mehr, das Grönland- und Meereis schmilzt.

Dadurch wird das Meerwasser verdünnt, es ist weniger salzhaltig und sinkt deshalb nicht mehr wie früher ab. Sinkt weniger oder gar kein Wasser mehr ab, zieht es auch kein warmes Wasser aus dem Süden mehr nach. Stellt der Motor ganz ab, würde die Atlantische Umwälzströmung kollabieren.

Komplexe Mechanismen erschweren Modelle

Nicht nur unterschiedliche Salzkonzentrationen treiben Strömungen an. Auch Winde, wie zum Beispiel beim Golfstrom. Das System ist sehr komplex, verlässliche Messungen gibt es erst seit 20 Jahren. Auch mit den besten Klimamodellen kommen deshalb Prognosen zur künftigen Entwicklung der Strömung zu unterschiedlichen Resultaten.

Kollaps schon zu früheren Zeiten

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Niklas Boers, Klimawissenschaftler von der Technischen Universität München und dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung PIK, untersucht, ob sich die Stabilität der atlantischen Umwälzströmung in den letzten 100 Jahren verändert hat. Seine Berechnungen macht er anhand der Salzkonzentration oder der Temperatur an der Meeresoberfläche, wovon man auch ältere Messungen hat.

Laut ihm sei die Strömung wahrscheinlich schwächer geworden. Sicher sei, dass die atlantische Umwälzströmung in den früheren Jahrtausenden in der letzten Kaltzeit mehrfach zum Erliegen kam. Man weiss auch, dass diese Ozeanzirkulation in der Vergangenheit abrupt zwischen verschiedenen Zuständen gewechselt hat. Ob das auch als Folge des menschengemachten Klimawandels passieren kann, ist unklar, aber auch nicht auszuschliessen.

Kollaps in diesem Jahrhundert unwahrscheinlich

Gemäss dem aktuellsten Bericht des Weltklimarats IPCC ist es sehr unwahrscheinlich, dass die atlantische Umwälzströmung bis im Jahr 2100 zusammenbricht. Stefan Rahmstorf, Klima- und Meeresforscher am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, findet das schlecht kommuniziert. Im Klimajargon heisse «sehr unwahrscheinlich», die Wahrscheinlichkeit liege bei weniger als zehn Prozent.

Ich glaube, niemand würde in einen Flieger steigen, wenn man ihm sagt, die Absturzwahrscheinlichkeit kann 10 Prozent betragen.
Autor: Stefan Rahmstorf Klima- und Meeresforscher

«Ich glaube, niemand würde in einen Flieger steigen, wenn man ihm sagt, die Absturzwahrscheinlichkeit kann zehn  Prozent betragen», sagt er. Er schätzt die Lage anders ein. Dänische Klimaforscher etwa publizierten vor einem Jahr eine Studie, gemäss der die atlantische Umwälzströmung bis Ende des Jahrhunderts mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit kollabierte.

Abschwächung wahrscheinlich

Johanna Baehr, Leiterin Klimamodellierung am Institut für Meereskunde der Universität Hamburg, ist zurückhaltender. Seit 20 Jahren misst sie die Meeresströmungen so gut wie möglich. Die dänische Studie sei wissenschaftlich sehr spannend. Sie kann aus ihrer Sicht aber nicht in konkrete Jahreszahlen übersetzt werden. Die Unsicherheiten seien viel zu gross.

Wir gehen davon aus, dass die Abschwächung bis 2100 im Bereich von etwa 30 Prozent liegen könnte.
Autor: Johanna Baehr Klimamodelliererin

Sie und viele andere Forschende raten zur Vorsicht. «Wir gehen davon aus, dass die Abschwächung bis 2100 im Bereich von etwa 30 Prozent liegen könnte.» Die Mehrheit der Forschenden gehe davon aus, dass sich die Umwälzströmung in diesem Jahrhundert zumindest verringere.

Ausgebremste Umwälzströmung als Klimaausgleich?

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Käme uns eine Abkühlung durch eine ausgebremste atlantische Umwälzströmung nicht sogar entgegen? Wenn es in der Schweiz zum Beispiel 1 bis 2 Grad kühler würde, könnte das die Klimaerwärmung doch gerade ausgleichen. Das sei durchaus möglich, sagt Baehr. Aber ganz so einfach funktioniere das nicht. Denn mit einer Abschwächung der Umwälzströmung würde es im Norden Europas deutlich kälter, im Mittelmeerraum dagegen deutlich heisser. Die Schweiz wäre damit je nach Wetterlage mal deutlich heisseren, dann wieder deutlich kälteren Winden ausgesetzt als heute. Und damit käme es voraussichtlich zu noch mehr Extremwetterereignissen wie Starkniederschlägen und Hitzewellen.

Ein Stopp oder eine Verlangsamung der atlantischen Umwälzströmung hätte zudem nicht nur in Europa Folgen. Weiter südlich würde sich das gesamte Monsunsystem verschieben. Die regelmässigen ergiebigen Regenfälle würden sich noch weiter gegen Süden verschieben und dann teils über dem Meer fallen, statt über dem Land. Mehr als 2 Milliarden Menschen wären in diesem Gebiet von einer grossflächigen Klimaveränderung betroffen, sagt Niklas Boers von der TU München.

Auch wenn die Einschätzungen teilweise auseinandergehen, sind sich alle einig: Das Abflauen der atlantischen Umwälzströmung als weiteres Schreckensszenario braucht es nicht. Schon jetzt sei die Klimakrise genügend sichtbar und bedrohlich. Und es sei klar, dass wir sofort und energischer handeln müssten. Um die drohenden Gefahren abzuwenden oder zumindest zu verringern.

Wissenschaftsmagazin, 14.9.2024, 12:40 Uhr

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