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Katastrophe im Lötschental Der Klimawandel ist nicht die einzige Ursache für den Abbruch

Brach das Kleine Nesthorn teilweise ab, weil der Permafrost schwindet? Rutschte der Gletscher ab, weil er klimabedingt schmolz? Das sind gute Fragen.

Viele waren sich in den letzten Tagen schon absolut sicher, dass sie diese Frage mit einem klaren «Ja, das war der Klimawandel!» beantworten können. Doch die Realität ist komplexer. 

Sicher ist: Dass das Kleine Nesthorn in Teilen zerfiel, brachte die Katastrophe in Gang. Tonnen an Felsgestein kamen auf dem Birchgletscher zu liegen und verstärkten seine Abwärtsbewegung.

Auch sicher ist: Der Birchgletscher zeigt seit einigen Jahren schon ein ungewöhnliches Verhalten. Er stösst ins Tal vor, rund 50 Meter seit 2019, und das, obwohl er nicht wächst, dafür ist es zu warm. Er rutscht einfach nach unten.

Wenn den Gletschern der «Schnauf» ausgeht

Dieses Verhalten nennen Experten «Surges». In den Alpen kam so etwas früher – vor 100, 150 Jahren – immer wieder vor. Aber in den Alpen der Jetztzeit, mit schwindenden, immer kleiner werdenden Gletschern, kommt es eigentlich nicht mehr vor. Glaziologe Matthias Huss von der ETH Zürich drückt es so aus: «Den Gletschern der Alpen geht der Schnauf aus. Sie werden zu klein, um zu surgen.»

Für die Alpen der Jetztzeit ist das Verhalten des Birchgletschers also eine Anomalie, eine grosse Ausnahme.

Bei beiden Punkten – dem zerfallenden Kleinen Nesthorn und dem surgenden Birchgletscher – kann man mit guten Gründen vermuten, dass der Klimawandel ein Faktor ist. Es ist sogar wahrscheinlich. Aber gesichert ist das noch nicht.

Auf die Fakten warten

Beim Kleinen Nesthorn spielen, das weiss man, auch geologische Prozesse, die den Berg destabilisieren, eine wichtige Rolle. Prozesse, die nichts mit dem Klimawandel zu tun haben und die über Jahrtausende hinweg ablaufen.

Und beim Gletscher kann niemand mit Sicherheit sagen, ob sein Surgen durch die Klimaerwärmung getrieben ist oder nicht, eben weil sein Verhalten so ungewöhnlich und singulär ist. Es gibt plausible Überlegungen zu Wasserdruck und Schmelzwasser im Gletscher, aber wirklich gute Daten, warum genau der Gletscher zu surgen begann, fehlen.

Man könnte also sagen: Es ist nun Zeit für Geduld, Zeit, Forscher und Forscherinnen ihre Arbeit machen zu lassen, sodass sie, soweit das im Nachhinein noch möglich ist, gesicherte Erkenntnisse vorlegen können.

Gerade in Debatten, in denen es um viel geht, um Werte, um Geld, um die Zukunft junger Menschen – und die Klimadebatte ist so eine Debatte – lohnt es sich, auf die Fakten zu warten.

Katrin Zöfel

Wissenschaftsredaktorin

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Katrin Zöfel ist Wissenschaftsjournalistin bei SRF. Sie ist Biologin und spürt gerne den Fragen nach, die der wissenschaftliche Fortschritt unserer Gesellschaft stellt.

SRF 4 News, 4.6.2025, 14:30 Uhr;stal;weds

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