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«Planetary Health Check» Saure Ozeane: Nächste Belastungsgrenze der Erde ist überschritten

Der Erde geht es immer schlechter, lautet das Fazit einer neuen Analyse. Nun spitzt sich auch die Lage in den Meeren drastisch zu.

Wie ein Patient beim Vorsorgetermin legt auch die Erde regelmässig ihre Werte auf den Tisch. Schon länger sind sie auffällig: Blutdruck, Lunge, Herzrhythmus – überall alarmierende Befunde. Nun kommt ein weiterer dazu: Auch die Ozeane weisen klare Anzeichen einer Erkrankung auf. Ihr pH-Wert sinkt, das Wasser wird saurer.  

Schildkröte unter Wasser
Legende: Kalkbildende Organismen wie Korallen oder Muscheln sind von den Folgen der Ozeanversauerung am stärksten betroffen. IMAGO / imagebroker

Konkret soll der pH-Wert der Ozeanoberfläche seit Beginn der Industrialisierung um rund 0.1 gesunken sein, wie der neue Bericht «Planetary Health Check» des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zeigt. 

Hohe Entzündungswerte, die sich verstärken 

Die Analyse basiert auf einem Konzept, das der schwedische Resilienzforscher Johan Rockström mit Kolleginnen und Kollegen 2009 am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung entwickelt hat. Demnach gibt es neun planetare Belastungsgrenzen – Prozesse, die über Stabilität, Widerstandskraft und die lebenswichtigen Funktionen des Planeten entscheiden. 

Im Moment liegen viele Parameter ausserhalb des normalen Schwankungsbereichs und sind deshalb kritisch zu bewerten.
Autor: Boris Sakschewski Autor des Planetary Health Checks

Boris Sakschewski – einer der Hauptautoren des Health Checks – verdeutlicht diese Planetaren Grenzen im Gespräch mit «Deutschlandfunk» mit dem Bild eines Bluttests: «Im Moment liegen viele Parameter ausserhalb des normalen Schwankungsbereichs und sind deshalb kritisch zu bewerten. Man könnte das vergleichen mit erhöhten Entzündungswerten bei Menschen: zu viel Cholesterin und schlechte Leber- und Lungenwerte. Lauter Auffälligkeiten, die gleichzeitig auftreten. Jede einzelne wäre schon riskant. Doch zusammen können sie sich gegenseitig verstärken.»

Die neun planetaren Belastungsgrenzen 

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Bericht «Planetary Health Check»
Legende: Planetary Health Check
  • Biosphäre
  • Biogeochemische Abläufe 
  • Neue Substanzen 
  • Klimawandel 
  • Süsswasser 
  • Landnutzung 
  • Ozeanversauerung 
  • Luftverschmutzung 
  • Ozonschicht 

2009 waren drei Grenzen überschritten, 2015 vier, 2023 bereits sechs. Heute sind es sieben – darunter erstmals die Ozeanversauerung. Nur die Belastung durch Aerosole und die Erholung der Ozonschicht gelten noch als «sicher». Allerdings ist unklar, wie lange noch. 

Die Versauerung der Ozeane ist also nur ein Teil des Puzzles. Auch der übermässige Einsatz von Düngemitteln, die Abholzung von Wäldern und der massive Artenverlust belasten das System. Diese Grenzen wirken nicht isoliert – sie hängen zusammen. Wenn die Meere ihre Rolle als CO₂-Speicher verlieren, verstärkt das die Erwärmung. Sterben Korallenriffe ab, verschwinden Lebensräume für tausende Arten – und damit ganze Ökosysteme. 

Was passiert im Meer? 

Ozeane haben uns lange geschützt: Sie nehmen rund ein Viertel des von Menschen ausgestossenen CO₂ auf und bremsen so die Erderwärmung. Doch der Preis dafür ist hoch. Das Gas reagiert im Wasser zu Kohlensäure und verändert dessen chemisches Gleichgewicht. Schon kleine Änderungen im pH-Wert haben grosse Wirkung: Sinkt er von 8.1 auf 7.3, klingt das vielleicht nach wenig – chemisch ist es aber eine Vervielfachung der Säurebelastung.  

Haupttreiber der Ozean-Versauerung ist übrigens die Verbrennung fossiler Energieträger. Grosse Mengen des vom Menschen ausgestossenen Kohlendioxids gelangen ins Meer und verändern dort die Chemie: Das Wasser wird saurer. Verstärkt wird dieser Prozess durch Abholzung und veränderte Landnutzung. 

Wie funktioniert der pH-Wert? 

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  • Der pH-Wert zeigt an, wie sauer oder basisch eine Flüssigkeit ist. 
  • Die Skala reicht von 0 (sehr sauer, z. B. Zitronensaft) bis 14 (sehr basisch, z. B. Seifenlauge). 7 ist neutral – wie reines Wasser. 
  • Das Meer liegt heute bei etwa pH 8.1 – also leicht basisch. 
  • Wichtig: Die Skala ist logarithmisch. Das heisst: Schon eine kleine Zahlendifferenz macht chemisch einen riesigen Unterschied. 
  • Ein Abfall um 1 Punkt (z.B. von 8 auf 7) bedeutet: zehnmal saurer. 
  • Zwei Punkte weniger: hundertmal saurer. 
  • Deshalb ist der Unterschied zwischen 8.1 und 7.3 so gravierend – auch wenn er wie ein kleiner Schritt aussieht.
  • Alltagsvergleich: Das ist wie bei Lärm: Ein Unterschied von 10 Dezibel klingt nach «etwas lauter», bedeutet aber eine Verzehnfachung der Lautstärke. 

Für viele Organismen – von winzigen Kieselalgen über Muscheln bis hin zu Korallen – bedeutet das Stress. Sie können ihre Schalen und Skelette schlechter bilden, sogar Haifischzähne werden angegriffen. Und auch für den Menschen hat das alles Folgen: Küsten werden verletzlicher, die Fischerei verliert ihre Grundlage. 

Wissenschaftlich umstritten 

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Wissenschaftlich ist das Konzept der planetaren Grenzen nicht unumstritten. Denn die Natur kennt selten klare «rote Linien». Risiken nehmen in der Regel schrittweise zu, nicht erst, wenn ein bestimmter Wert überschritten ist. Ausserdem sind manche Grenzen schwer zu messen – etwa der Verlust an Biodiversität oder die Belastung durch neue Chemikalien. Auch wirken die Prozesse regional sehr unterschiedlich: Während Wasser in manchen Gegenden knapp wird, gibt es andernorts Überschüsse. 

Radio SRF 4 News, HeuteMorgen, 24.9.2025, 08:15 Uhr

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