Der Rekordbergsturz von Flims ereignete sich, als es noch keine menschlichen Siedlungen in den Alpen gab. Zum Glück! Denn was damals vom Berg Flimserstein runterkam, rund 20 Kilometer westlich von Chur, kann man sich nur schwer vorstellen.
«Das war ein Mega-Bergsturz», sagt Adrian Pfiffner, Sachbuchautor und emeritierter Geologie-Professor an der Universität Bern. «Ein ganzer Berg ist damals zerfallen und hat sich im Tal über ein Gebiet von 50 Quadratkilometern ausgebreitet. Er hat auch Überschwemmungen verursacht und die Landschaft bis hin zum Bodensee verwüstet.»
Danach bahnte sich der Vorderrhein einen Weg durch die Trümmer und schuf so die spektakuläre Rheinschlucht (Ruinaulta) zwischen Reichenau und Ilanz. Die heute waldbedeckte Trümmerhalde ringsherum ist gigantisch: tausendmal grösser als jene von Blatten.
Wie weiss man das nach so langer Zeit?
Herausfinden konnten die Experten dies laut Pfiffner, indem sie die Trümmermasse an der Oberfläche analysierten. Den Untergrund untersuchten sie mit Daten von seismischen Messungen, also einem Echolotverfahren. So konnten sie das Volumen der Geröllhalde und damit auch des Bergsturzes abschätzen.
Wie alt der Bergsturz ist, wurde unter anderem mithilfe von kleinen Holzstücken zwischen dem Geröll bestimmt, also den Überresten von einst mitgerissenen Bäumen. Das Alter von organischem Material wie Holz lässt sich nämlich genauer bestimmen als jenes von Gestein. Die Datierung der Holzreste unten und oben in der Schutthalde zeigte: Sie sind alle etwa gleich alt. «Es muss ein einzelnes Ereignis gewesen sein, passiert in ein paar Minuten», vermutet daher Adrian Pfiffner.
Wie wahrscheinlich ist ein Bergsturz von diesem Ausmass heute?
Könnte ein Mega-Ereignis wie der Flimser Bergsturz heute wieder passieren? Matthias Huss, Glaziologe an der ETH Zürich, verneint: «Ich halte dies für sehr unwahrscheinlich.» Der Grund: Ein paar Jahrtausende vor dem Flimser Bergsturz prägten noch die Gletscher der letzten Eiszeit die Alpen: «Die haben zum Beispiel das Rheintal bei Chur bis auf eine Höhe von 2000 Metern ausgefüllt.» Als diese Ungetüme abschmolzen, habe das die Berge stark destabilisiert – zum Teil über Jahrtausende und in einem Ausmass, das heute nicht mehr denkbar sei.
Deutlich grössere Bergstürze als in Blatten hält Huss aber schon für möglich – vielleicht etwa im Umfang wie vor neun Jahren beim Grossen Aletschgletscher: «Dieser grösste Alpengletscher hat bei der Gletscherzunge über 400 Meter an Eisdicke verloren. Und das hat dazu geführt, dass sich dort ein sehr grosses Gebiet, die Moosfluh, zu bewegen begann.» Mindestens 150 Millionen Kubikmeter Gestein gerieten damals zeitweilig ins Rutschen, sprich: rund 17 Mal mehr als jüngst in Blatten. Aber: immer noch weit weniger als einst in Flims.
Quelle: Welterbe Sardona/Einscope GbR
Im Gegensatz zu Huss will Geologe Adrian Pfiffner einen weiteren Mega-Bergsturz nicht ganz ausschliessen. Die grossen prähistorischen Bergstürze, betont er, seien stets während Klimaerwärmungsphasen passiert. Und eine solche haben wir auch heute wieder – nun eine menschengemachte, die im Vergleich zu den früheren viel schneller abläuft – ohne Ende in Sicht.
Was allerdings beide Experten betonen: Sichere Prognosen sind nicht möglich. Sicher ist nur, dass das Gebirge wegen des schmelzenden Permafrosts und vermehrter Starkregen mit jedem Grad Erwärmung instabiler wird.