Wieso ist Schlafentzug so eine wirksame Folter? Wie tickt die innere Uhr? Wissenschaftsredaktorin Katharina Bochsler beantwortet Fragen zum Thema Schlaf.
Was passiert, wenn wir nicht schlafen? Wie Sauerstoff, Nahrung oder Wasser ist Schlaf lebenswichtig: Ohne Schlaf sterben wir an einem Multiorganversagen. Doch auch ohne tödlichen Ausgang hat langfristiger Schlafentzug schwere Folgen. Zu wenig Schlaf beeinträchtigt zuallererst unsere Gehirnleistung. Konzentrations- und Gedächtnisprobleme nehmen zu, der psychische Zustand verschlechtert sich. Bei extremem Schlafmangel beginnen wir sogar zu halluzinieren.
Laut einem Bericht des U.S.-Senate Intelligence Committee von 2014 über Folter ist Schlafentzug eine effektive Möglichkeit, um «den Willen des Gefangenen zu brechen».
Der längste bekannte freiwillige Schlafentzug dauerte elf Tage.
Wie lang der Mensch ohne Schlaf überleben kann, ist wissenschaftlich nicht erforscht – aus ethischen Gründen. Der längste bekannte freiwillige Schlafentzug dauerte elf Tage. Der Brite Tony Wright wagte 2007 den Selbstversuch und fiel nach 266 Stunden zwar nicht tot um, aber in einen tiefen Schlaf.
Bekannt ist jedoch eine krankhafte Form der Schlaflosigkeit, die tödlich ist. Menschen, die an der «letalen familiären Insomnie» erkranken, schlafen zuerst schlecht und dann gar nicht mehr. Sie geraten in einen traumartigen Zustand, halluzinieren und sterben schliesslich 7 bis 18 Monate nach Ausbruch der Krankheit.
Macht zu wenig Schlaf wirklich dick und krank? Die kurze Antwort lautet: Ja. Schlafen Menschen zu wenig oder zur falschen Zeit – Stichwort Schichtarbeit – kann sich der Körper nicht mehr richtig regenerieren. Das Gedächtnis leidet, die Stimmung ebenso.
Wundheilung findet ebenfalls vor allem im Schlaf statt.
Das Immunsystem verliert an Widerstandskraft, das Hormonsystem gerät aus dem Takt und mit ihm das Hungergefühl. Darum sagen Schlafforscher salopp: Zu wenig und schlechter Schlaf macht dumm, dick und krank.
Schlaf ist keine reine Ruhephase. Vielmehr findet in der Nacht eine grosse Entrümpelungsaktion statt. Das Gehirn festigt das Gedächtnis, indem es am Tag Gelerntes sortiert. Nach dem Prinzip: Ist das wichtig oder kann das weg?
Der Körper entgiftet sich im Schlaf, indem er Stoffwechselprodukte entsorgt. Die Wundheilung findet ebenfalls vor allem im Schlaf statt. Das Immunsystem und die Organe erholen sich, der Körper regeneriert sich.
Weshalb kommen manche Menschen trotzdem mit wenig Schlaf aus? Normalschläfer brauchen 7 bis 8,5 Stunden Schlaf pro Nacht. Gesunde Kurzschläfer wachen schon nach 4 bis 5,5 Stunden Schlaf ausgeruht auf.
Dieses Phänomen scheint in den Genen zu liegen. Darum hat es keinen Sinn, sich zum Kurzschläfer machen zu wollen, wenn man es nicht von Natur aus ist.
Vor zehn Jahren wurde das erste Kurzschlaf-Gen entdeckt, zwei weitere folgten im vergangenen Jahr. Wer diese Gen-Varianten in sich trägt, verbringt verhältnismässig mehr Zeit im erholsamen Tiefschlaf als Normalschläfer. Das Gehirn sortiert die am Tag angesammelten Gedächtnisinhalte schneller. Der Organismus regeneriert sich rascher. Kurzschläfer sind also gewissermassen schnellere Schläfer.
Haben wir wirklich eine innere Uhr? Ja, jeder Mensch hat eine innere Uhr, die vom vorgegebenen 24-Stunden-Tag abweichen kann. Unser Körper ist daher ständig bemüht, seine innere Uhr mit den Rhythmen der Umwelt in Einklang zu bringen. Verbunden sind damit viele physiologische Vorgänge wie etwa die Körpertemperatur, Hormonausschüttung, Blutdruck, Herzfrequenz, Verdauung oder eben der Schlaf-Wach-Rhythmus.
Der wichtigste natürliche Taktgeber ist die Tageslänge, die sich übers Jahr verändert. Aber auch vom Menschen geschaffene Taktgeber wie die Arbeitszeit verlangen eine ständige Anpassung unserer inneren Uhr.
Die Synchronisation zwischen innerer Uhr und äusseren Faktoren wird durch spezielle lichtempfindliche Zellen im Auge ausgelöst. Das erklärt, warum das LED-Blaulicht aus dem Handy und anderen Bildschirmen uns wach und schlaflos machen kann. Und es erklärt auch, warum blinde Menschen sehr häufig Schlafstörungen haben: Sie sehen den Tag-Nacht-Wechsel nicht.
Stimmt es, dass Verliebte weniger Schlaf brauchen? Ja, denn ihr Gehirn wird von einem hochprozentigen Hormon-Cocktail geflutet. Verliebte befinden sich in einem rauschähnlichen Zustand. Ihr Belohnungszentrum ist hoch aktiviert und verlangt nach immer mehr – immer mehr vom Objekt der Begierde. Wie bei Suchtkranken.
Der Körper von frisch Verliebten produziert jede Menge Dopamin, ein Hormon, das energetisiert.
Der Körper von frisch Verliebten produziert auch jede Menge Dopamin – ein Hormon, das energetisiert und Verliebte auf Wolke sieben schweben, aber nicht schlafen lässt.
Grosse Mengen an Cortisol und Adrenalin lassen das Herz rasen und den Verstand ausschalten. Gleichzeitig ist bei ihnen ein anderes Glückshormon, das Serotonin, reduziert. Das klingt paradox, macht aber Sinn. Denn ein Serotonin-Mangel kann dazu führen, dass Menschen immer und immer wieder dasselbe tun müssen. Das gilt für Menschen mit Zwängen. Aber auch für Verliebte.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 18.02.2020, 9:05 Uhr