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Mensch Archäologische Spurensuche aus dem All

Hacke und Hämmerchen, Spaten und Sieb? Damit allein fängt die moderne Archäologie nichts mehr an. Dieser Tage graben Forscher sich durch digitale Berge von Satellitendaten. Damit können sie so grossräumig forschen wie nie zuvor.

Von kleinen Brötchen hält Michael Frachetti nichts. Der Archäologe an der University of Washington in St.Louis will nicht mehr und nicht weniger wissen als: «Wo verlief die Seidenstrasse? Wie entstand sie überhaupt?».

Noch vor 20 Jahren hätten Archäologen von solchen Fragestellungen nicht einmal geträumt. Die Seidenstrasse – ein Netzwerk von Handelsrouten, die das Mittelmeer mit Ostasien verbinden – misst Tausende Kilometer. Doch Satelliten und deren immer sensiblere Instrumente ermöglichen nun Analysen von historischen Prozessen über weite geografische Räume.

Immer den saftigsten Weiden nach

Michael Frachetti ist ein Spezialist für zentralasisatische nomadische Hirten der Bronzezeit. Er glaubt: «Die Pfade der Seidenstrasse waren das Resultat des Alltagslebens der Nomaden über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte.» Der Alltag von Hirten bestand darin, ihre Schafe zu den saftigsten Weiden zu lotsen. «Wenn man mit den Schafen so durchs Land zieht – immer dorthin, wo das beste Gras wächst – dann entwickeln sich bald ausgeprägte Trampelpfade.» Trampelpfade also, die sich schliesslich zur Seidenstrasse auswuchsen. Soweit seine Theorie.

Satellitenbild von Kasachstan mit Einfärbungen, die zeigen, wo es fruchtbare und wo es trockene Regionen gibt.
Legende: Mit speziellen Satellitenbildern kann Michael Frachetti sehen, wo besonders grüne Weiden liegen. Michael Frachetti

Der Archäologe testete seine Vorstellungen mit einer Computersimulation. Dazu verwendete er als Basis multispektrale Satellitenbilder. Unterschiede in den Farb- und Hell-Dunkel-Werten ergeben sich aus der unterschiedlichen Lichtreflexion von Weiden unterschiedlicher Qualität. Und dann schickte er – virtuell natürlich – Schafe und Hirten los, wobei die zurückgelegten Kilometer pro Jahr sowie die Ausgangspunkte variierten.

Die hypothetischen Wanderungen der Schafe ergaben eine Fülle von Linien. Manchmal liefen sie auf einem Punkt zusammen. Und an einem solchen virtuellen Knotenpunkt sitzt in der realen Welt tatsächlich eine Touristenattraktion der Seidenstrasse: die kirgisische Karawanserei Tasch Rabat. Da bekam Michael Frachetti schon ein bisschen Gänsehaut. Denn das bedeutet: An seinem Modell könnte doch glatt etwas dran sein.

Barbaren in der Wüste

David Mattinglys Trans-Sahara-Projekt ist mindestens so ehrgeizig. Der britische Archäologe an der University of Leicester erforscht die Kultur der Garamanten im libyschen Teil der Sahara. «In griechischen und römischen Texten werden die Garamanten als barbarische Nomaden bezeichnet«, erzählt er, »dieses Vorurteil hielt sich bis ins 21.Jahrhundert.»

Die herrschende Lehrmeinung besagte lange Zeit, dass vor der Ausbreitung des Islams etwa 700 nach Christus in der Sahara keine Handelsrouten und gewiss keine nennenswerte Zivilisation existierten. Doch die Forschungsergebnisse von David Mattingly sagen etwas anderes. Er analysierte hochaufgelöste Satellitenbilder von Google Earth. Und siehe da: Unter dem Sand zeichneten sich Umrisse und Ruinen von Dörfern, Städten, Befestigungen und Bewässerungssystemen ab, die belegten, dass Handel und Ackerbau in der Sahara erstaunliche eintausend Jahre früher begannen als angenommen.

Satellitenbild mit verschiedenen Einfärbungen.
Legende: Dieses Bild zeigt eine befestigte Anlage oder Burg (gelb) der Garamanten mit umliegenden Feldern und Brunnen (grün), sowie einen Friedhof (pink). Tans-Sahara-Project

«Wir müssen die historischen Daten radikal revidieren», erklärt der Forscher. Diese Einsichten wären ohne die Bilder aus dem All nicht möglich gewesen. Leider wird es David Mattingly nun eine Weile bei der Fernerkundung bewenden lassen müssen. Denn seit 2011 die Unruhen begannen, ist ein Aufenthalt in Libyen schlicht zu gefährlich.

Ein grossflächiger Blick auf die Wiege der Zivilisation

In der gleichen Lage befindet sich Jason Ur, Harvard-Archäologe und Experte für Mesopotamien. Diese sprichwörtliche Wiege der Zivilisation erstreckte sich unter anderem über das heutige Syrien sowie über Teile des Irak, wo die Terrorgruppe ISIS erst kürzlich mesopotamische Schätze zertrümmerte.

Jason Ur sucht nach subtilen Spuren vergangener Besiedlungen. Doch Industrialisierung, Landwirtschaft oder auch Dammbau löschten vieles über die letzten Jahrzehnte aus. Deswegen kombiniert er für seine Datenauswertung die Aufnahmen mehrerer Satelliten. Als wahre Fundgrube erwiesen sich die Bilder alter US-Spionagesatelliten des ehemaligen Corona-Programms, die mittlerweile freigegeben wurden. «Ein Blick auf diese Bilder ist so, als fahre man mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit», begeistert sich Jason Ur. Auf den Corona-Bildern aus den 1960er- und 1970er-Jahren sind etwa vielversprechende Erdhügel nach wie vor identifizierbar.

Punkte auf einer Karte im Bereich des ehemaligen Mesopotamiems
Legende: Rund 14'000 potenzielle archäologische Stätten fand Jason Ur in einem Gebiet von 23'000 Quadratkilometern. Jason Ur

Einzigartige Einsichten lieferten ihm auch Daten von ASTER, einem Sensor auf dem NASA-Erdbeobachtungssatelliten Terra, der Bilder auch im für Menschen nicht sichtbaren Infrarotbereich aufnimmt. Jason Ur analysierte Reflexionscharakteristiken von archäologischen Stätten und liess dann ein Computerprogramm in einer Region nach solchen Merkmalen suchen. Fazit: Rund 14'000 potenzielle archäologische Stätten über ein Gebiet von 23'000 Quadratkilometern.

Die Ausbeute ist zwar gross, doch, so der Archäologe, man dürfe sich nie zu früh freuen. Denn eines schafft man mit Fernerkundung nach wie vor nicht: Das Alter einer Stätte zu bestimmen. Da bleibt also nichts übrig, als sich den Spaten zu greifen, zu graben, Proben zu nehmen und zu datieren.

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