Der chinesische Froscher He Jiankui hat angeblich die Geburt der ersten genmanipulierten Kinder ermöglicht. Er soll das Erbgut von Zwillingen so verändert haben, dass sie gegen HIV resistent sein sollen.
Niemand kann genau abschätzen, welche Konsequenzen der Eingriff für die Zwillinge hat. He hat sich mit seiner Forschung gegen den ethischen Konsens in der Wissenschaft gestellt.
Doch wer stellt diese Regeln auf? Und was für Konsequenzen hat ein solcher Tabubruch für die Wissenschaft? Ein Gespräch mit der Zürcher Bioethikerin Anna Deplazes Zemp.
SRF: Warum ist das chinesische Beispiel ethisch so fragwürdig?
Anna Deplazes Zemp: Da gibt es unterschiedliche Aspekte, aber besonders zentral ist die Frage nach der Einwilligung. In der klinischen Forschung muss der Patient bei einem Eingriff einwilligen.
Bei Kleinkindern können die Eltern zustimmen. Es muss aber klar sein, dass das Kind auch zustimmen würde. Die Veränderung des Erbguts durch He betrifft auch künftige Generationen. Das ist eine neue Herausforderung. Wie soll man die Zustimmung von weiteren Generationen einholen?
Ausserdem ist der medizinische Nutzen des Eingriffs kaum ersichtlich. Die Kinder wären ja gesund auf die Welt gekommen. Warum sollten sie da einwilligen?
Wer bestimmt, was in der Wissenschaft erlaubt ist und was nicht?
Zuerst einmal gibt es in jedem Land Gesetze. In der Schweiz darf man am Genom von Embryonen nichts ändern.
Dann gibt es eine sogenannte Selbstregulation in der Wissenschaft. ForscherInnen kommen zusammen und geben sich selber Regeln.
Solche Regeln werden teilweise in politische Gesetze übernommen, aber auch innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft werden Grenzüberschreitungen geächtet. Ein solches System hat den Vorteil, dass es schnell an neue Entwicklungen angepasst werden kann.
Hat He Jiankui das System nun gestört?
Es herrschte ein Konsens, dass man im Moment noch keine editierten Embryonen implantiert und austragen lässt. Bevor solche Experimente in Betracht gezogen werden können, muss man genau wissen, wo eigentlich die Risiken sind.
Dass sich nun jemand dermassen über die Richtlinien hinwegsetzt, hat man nicht kommen sehen. Er war vor der Veröffentlichung völlig intransparent.
Dadurch funktioniert das Kontrollsystem nicht mehr richtig.
Mit der medialen Präsenz wird He Jiankui eine Plattform geboten. Besteht nicht die Gefahr, dass andere die Grenze nun auch überschreiten?
Natürlich gibt es immer Bewunderer. Es ist beruhigend, dass sein Verhalten auch vom chinesischen Staat kritisiert wurde.
Bis jetzt steht He Jiankui noch alleine da. Diese Art von Experimenten darf nicht akzeptabel werden, nur weil das Tabu einmal gebrochen wurde.
Der Diskurs in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft sollte weitergeführt werden. Und in jedem Land muss ein gesellschaftlicher und politischer Diskurs darüber geführt werden, was auf nationaler und je nachdem auch auf internationaler Ebene erlaubt sein sollte.
Das Gespräch führte Mirella Candreia.