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Wenn das Echo den Weg weist – Orientierung bei Blinden
Aus Kontext vom 27.03.2013. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 25 Minuten 39 Sekunden.
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Mensch Das Echo als Wegweiser

Manche Blinde tun es den Fledermäusen gleich. Sie erschliessen sich ihren Weg durch Laute und orientieren sich an den Schallwellen, die von den Objekten in der Umgebung zurückgeworfen werden. Die Technik heisst Echo-Ortung.

Dave Janischak klickt sich durch die Welt. Seit er denken kann, macht er das so. Der 16-Jährige macht Klicklaute mit der Zunge, hört auf das Echo, das von Gebäuden, Autos und Müllcontainern zurückgeworfen wird und macht sich so ein Bild von seiner Umwelt. So kann er sehr gut entschlüsseln, was sich etwa in einer belebten Einkaufspassage um ihn herum tut. Er hört Häuser, parkierte Autos und schätzt die Anzahl Menschen, die gerade unterwegs sind.

Andere Blinde schnippen mit den Fingern oder schnalzen mit der Zunge und erhalten auf diese Weise wichtige Informationen über Dinge, die der Blindenstock nicht erreichen kann. Die Echo-Ortung macht stumme Hauswände und heimtückische Laternenpfähle hörbar, lange bevor sie im Weg stehen. Jedes Geräusch bewegt sich in Form von Schallwellen durch den Raum. Wenn diese auf ein Hindernis stossen, werden sie als Echo zurückgeworfen und machen auf diese Weise die Ortung des Gegenstands möglich.

Die Stille hören

Dave ist froh über seine Begabung, die Stille zu hören: «Ich kann an die andere Straßenseite rüberschallen, ob da jetzt Häuser sind oder nicht. Ich kann schallen, ob rechts von mir Autos sind. Ich kann erschallen, ob eine Einfahrt da ist, ob eine Haustür in der Nähe ist.»

Seit seinem 4. Lebensjahr ist Dave Janischak blind. Die Orientierung mit Klick-Lauten, dem so genannten Klick-Sonar, hat er einem anderen Jungen abgekuckt beziehungsweise abgehört. Schon als kleines Kind hat Dave in der Wohnung mit dem Klick-Sonar experimentiert. Er hörte genau hin, wie sich der von einer Ecke zurückgeworfene Schall vom Echo einer geraden Wand unterscheidet. Er lernte die Entfernung von Hindernissen einzuschätzen und in welcher Richtung sich diese genau befinden. Das weiteste Objekt, das Dave bisher erschallt hat, war ein Haus auf der anderen Seite eines Flusses.

Auch Sehende hören Schallwellen

Seine Technik gleicht der Echo-Ortung, wie sie Fledermäuse und Delfine verwenden, sagt Lutz Wiegrebe, Hirnforscher an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Auch der Mensch nehme seine Umwelt durch die Art der zurückgeworfenen Schallwellen wahr. Allerdings werde diese Sinnesleistung meist unterschätzt, weil unsere Raumwahrnehmung extrem durch das Sehen dominiert werde.

Grafik: Mittels Schallwellen findet eine Fledermaus ihre Beute.
Legende: Beutefang mittels Echo-Ortung: Fledermäuse senden Ortungsrufe aus, um sich mittels Schallwellen orientieren zu können und ihre Beute zu finden. Bayerischer Rundfunk

Lutz Wiegrebe ist eigentlich Fledermausforscher. Doch interessiert er sich auch für die Echo-Ortung beim Menschen. Dazu experimentiert mit Studenten. Mit der Zunge schnalzend sollen diese sich in einem Gang zurechtfinden. Die Studierenden, allesamt Sehende, lernen erstaunlich schnell. Denn das Gehör spielt auch bei Sehenden eine zentrale, wenn auch meist unbewusste Rolle bei der Raumwahrnehmung. Schon nach kurzem Training konnten Wiegrebes Versuchspersonen die Entfernung einer Wand bis auf 30 Zentimeter genau einschätzen.

Hirnforscher Wiegrebe hat auch mit Blinden geforscht. Zum Beispiel mit Daniel Kish, einem 44-jährigen Kalifornier, der die Echo-Ortung perfekt beherrscht und diese in den USA populär gemacht hat. Wiegrebe wollte wissen, wie Kishs Gehirn arbeitet, wenn sich dieser mittels Klick-Sonar orientiert. Wiegrebes Vermutung: Echo-Orter verwenden jenen Teil des Gehirns, der eigentlich fürs Sehen zuständig ist, fürs Hören. Und damit lag er richtig. Daniel Kish nutzt die Sehrinde, genauer den sekundären visuellen Kortex der Sehrinde, der im hinteren Bereich unsers Kopfs liegt, um die Raumgrösse abzuschätzen. Daraus könne man schliessen, dass dieser Teil der Sehrinde eben nicht ausschliesslich ein visuelles Areal sei, sagt Wigrebe: «Eigentlich ist dieses Hirnareal ein Raum-Codierer, wo eben auch Informationen anderer Sinnesmodalitäten einfliessen und verarbeitet werden.»

Ein Stock ist trotzdem nötig

Dank dieser Vielseitigkeit der sekundären Sehrinde erschliessen sich Blinde wie  Dave Janischak ihre Umgebung bis ins Detail. Ob ein Baum hoch ist oder niedrig, wie viele Äste er hat und in welcher Form diese vom Stamm abstehen, wie hoch ein Kirchenraum ist, wie die Beschaffenheit ihrer Säulen – all das können gute Echo-Orter hören anhand charakteristischer Echo-Muster. Dennoch hat die Echo-Ortung auch ihre Grenzen. Alles was unterhalb des Mundes liegt, wird mit dem Klick-Sonar nicht erschlossen, denn die Echo-Ortung erfasst nur, was im Gesichtsfeld liegt.

Deshalb geht selbst der erfahrenen Echo-Orter Dave Janischak nie ohne Stock aus dem Haus: «Ich würde in jedes Loch fallen, wenn ich den Stock nicht benutzen würde.» Die Kombination von Klick-Sonar und Blinden-Stock ist für ihn perfekt. Damit fühlt er sich selbst an unbekannten Orten sicher. Doch wenn er die Gegend kennt, dann fährt er auch schon mal mit Inline-Skates herum.

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