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Neue Ansätze für den letzten Weg
Aus Puls vom 29.11.2021.
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Drei Ansätze In Würde sterben: Bessere Wege für den letzten Abschnitt

Viele Menschen scheiden hierzulande im unpersönlichen Ambiente eines Spitalzimmers aus dem Leben. Es geht auch anders.

Stellt sich einem die Frage, wo man die letzten Tage seines Lebens verbringen möchte, ist die Antwort für die meisten klar: zu Hause.

Und doch sterben fast 40 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer in einem Spital. In einem nüchternen, auf Funktionalität und Effizienz getrimmten Umfeld, das sich selbst auf Palliativstationen eher an den professionellen Erfordernissen der Pflegenden orientiert als an den persönlichen Bedürfnissen der Sterbenden.

Das Gesundheitsmagazin «Puls» beleuchtet drei Ansätze, die dem letzten Lebensabschnitt mehr Würde verleihen.

1. Das Sterben zu Hause planen und unterstützen

Elsa H. hat im Sommer die Diagnose Krebs erhalten. Sie weiss, dass ihre Krankheit nicht heilbar ist. Den letzten Weg will sie zu Hause gehen, im Kreise ihrer Liebsten.

Medikamente, Pflegeutensilien, Geräte für die künstliche Ernährung: Haus und Alltag von Herr und Frau H. wurden auf Pflege umgestellt. Aus dem Büro wurde ein Schlafzimmer mit Blick in den Garten. «Etwas ganz Wunderbares», wie Frau H. betont. «Statt allein im Obergeschoss zu liegen, kann ich hier alles miterleben.»

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Zu Hause sterben – Palliative Care hilft
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Frau H. spricht nicht gerne vom Sterben. Lieber konzentriert sie sich aufs Leben und geniesst bewusst die Zeit zu Hause. «Hier geht es mir psychisch viel besser als im Spital», betont sie. «Ich bin viel mehr auf den Beinen, habe mehr Bewegung und sehe, was sich draussen alles tut. Das hilft ganz enorm!»

Vor zwei Wochen sah ihr Alltag noch ganz anders aus. Im Spital Wetzikon bestimmte ein Wunsch ihr Denken: nach Hause können! Damit dies möglich werden konnte, brauchte es viel Organisation – und Personal, das den Wunsch auch ernst nahm.

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«Wenn der Wunsch besteht, nach Hause zu gehen, macht es Sinn, das zu unterstützen.»
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Andreas Weber leitet die Palliative Care am Spital Wetzikon und die mobile Palliativ Care Zürich Oberland. Er setzt sich seit Jahren dafür ein, dass möglichst alle zu Hause sterben können, die das wollen: «Das macht eigentlich bei allen Schwerkranken Sinn, ausser sie sind im Koma. Dann behalten wir sie hier im Spital.»

In allen anderen Fällen mache es Sinn, den Wunsch zu unterstützen. Selbst wenn es nur noch um einige wenige Tage gehe.

Frau H. muss zu Hause von ihrem Mann betreut werden. Ein minutiöser Notfallplan soll dafür sorgen, dass Krisen nicht wieder zu einem Spitaleintritt führen.

Ein bewährtes Konzept. «Wir können etwa 80 Prozent der Krisen, die dann tatsächlich auftreten, vorhersagen», weiss Andreas Weber. «Es gibt viel weniger Notfallaufenthalte bei Leuten, wo man eine gute Notfallplanung macht. Und viel, viel mehr Menschen – etwa dreimal mehr – können schlussendlich tatsächlich zu Hause sterben.»

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«Zu wissen, was sich die Spitex überlegt und welches die nächsten pflegenden Schritte sein könnten, ist sehr entlastend.»
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Herr H. wird nicht nur von der Spitex unterstützt. Er bekommt auch Hilfe durch speziell ausgebildete Palliativpflegende, die Tag und Nacht erreichbar sind. Das zahlt sich aus: In den zwei Wochen seit dem Spitalaustritt konnten alle Krisen gemeistert werden.

Es läuft gut. Und die Tochter von Frau H. schätzt die Nähe zu Ihrer Mutter. «Im Spital findet die Visite ja immer ohne Besucher statt. Hier zu Hause mit der Spitex bekommen wir eigentlich alles mit. Wir wissen, was sie sich überlegen und welches die nächsten pflegenden Schritte sind.»

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«Verglichen mit der Zeit, als wir beide gesund waren, ist es praktisch eine Verdreifachung der Arbeit.»
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Trotz guter Unterstützung: Die Situation ist anstrengend. «Es gibt etwa dreimal mehr zu tun als früher», schätzt Herr H. Das sei schon stressig. «Auch mein Tag hat nur 24 Stunden, da reicht die Zeit einfach nicht für alles.» Und trotzdem möchte man es tun. «Nach 50 gemeinsamen Jahren ist das einfach selbstverständlich.»

Ein Dilemma, dem Palliativmediziner Andreas Weber immer wieder begegnet: «Wenn die Angehörigen das nicht mehr stemmen können, geht es für niemanden mehr.» Dann lande die sterbende Person wieder im Spital oder in einem Pflegeheim. «Das kann man zum Teil verhindern, indem man die Situation frühzeitig anspricht und ein Netz von Angehörigen und Freunden organisiert.»

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Palliativmedizin: Neue Möglichkeiten, das Sterben zu gestalten
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2. Den letzten Raum freundlich gestalten

Ob zu Hause, in der Klinik oder einem Hospiz: Der Bewegungsradius wird im letzten Lebensabschnitt meist immer kleiner, beschränkt sich häufig noch auf ein Zimmer.

Im Waidspital Zürich wird auf die Gestaltung dieses Raums besonders geachtet. Die Zimmer für unheilbare Kranke sollen nicht klinisch steril wirken, sondern eine ganz persönliche Note haben.

Im Rahmen eines Nationalfonds-Forschungsprojekts hat die Designerin Bitten Stetter Gegenstände kreiert, die den besonderen Bedürfnissen sterbender Menschen gerecht werden.

Eine Bettbox, die die wichtigsten Dinge in Griffnähe hält. Ein Mobile mit persönlichen Botschaften von Freunden und Familie. Eine Handyhalterung am Bettpfosten. Ein Baldachin für mehr Geborgenheit. Ein Spitalhemd, das sich wie ein Bademantel nutzen lässt.

Inspirieren lässt sich die Designerin durch Erfahrungen mit ihrer Mutter, die sie auf dem letzten Lebensweg begleitet hatte. Weitere Helferlein und Glücksspender sind in Arbeit.

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«Die Zimmer kann man individuell gestalten, mit eigenen Vorhängen, Bildern oder auch Möbeln. Das geht alles bei uns.»
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Für ein Spital eine bemerkenswerte Neuerung, für spezialisierte Palliativ-Stätten wie das Zürcher Lighthouse seit langem gelebter Alltag: Im Hospiz verbringen die Bewohnerinnern und Bewohner ihren letzten Lebensabschnitt in einem eigenhändig eingerichteten Zimmer.

«Wir stellen Pflegebett, Nachttischchen, Radio und Telefon. Den Rest kann man selbst gestalten», erklärt Stiftungsleiter Horst Ubrich. «Vorhänge, Bilder, Möbel mitbringen – das geht bei uns alles.» Selbst wöchentliche Harfenklänge haben da ihren Platz.

3. Die Bedürfnisse der Sterbenden ins Zentrum stellen

Künftig sollen die Bedürfnisse der Sterbenden sogar eine noch grössere Rolle spielen, nämlich im Neubau, der 2023 das bestehende Lighthouse ersetzen wird.

Eingebettet in einer Siedlung der Aporta-Stiftung, mitten in der Stadt Zürich und mitten im Leben zwischen Mietwohnungen und Kindergarten, sollen die neuen Räumlichkeiten nicht nur eine optimale Pflege und Betreuung ermöglichen, sondern auch den sich verändernden Ansprüchen und Bewegungsradien der Bewohnerinnen und Bewohner gerecht werden.

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Architekt Martin Schwager: «Die Räume im neuen Lighthouse sollen möglichst unterschiedliche Bedürfnisse abdecken.»
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Im Innenhof unter vielen Leuten sein oder ganz allein unter freiem Himmel die letzten Stunden verbringen. In gedämpfter Akustik stille Momente erleben oder sich in freundlichem Ambiente mit anderen austauschen. Die Zimmertür offenlassen können und dennoch Privatsphäre haben.

Die Ansprüche an die Architektur sind so vielfältig wie die Lebensgeschichten der Menschen, die darin ihre letzten Tage, Wochen, Monate verbringen werden.

Einrichten wird man sich wieder können wie im am alten Ort, denn gerade im letzten Abschnitt spielt die persönliche Lebensqualität eine zentrale Rolle. «Im Hintergrund muss alles hochprofessionell sein», weiss Horst Ubrich. «Die Medizin muss stimmen, die Medikamente müssen stimmen – aber beim Bewohner soll ‹wohnen› ankommen.»

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Palliativpflege daheim und im Spital - Mediziner berichten
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Puls, 29.11.2021, 21:05 Uhr

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