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Energiekrise, Corona, Cyberwar Wieso Wissenschaft und Politik besser zusammenarbeiten müssen

Klimawandel, Artenschwund, Pandemie – es wimmelt vor Krisen, in denen wissenschaftliche Expertise wichtig ist. Doch der Austausch zwischen Wissenschaft und Politik funktioniert nicht gut. Was besser werden muss.

Es tut sich was. Letzte Woche verkündeten Bund und Kantone, dass sie für die Bewältigung der Covid-Pandemie erneut eng mit der Wissenschaft zusammenarbeiten wollen. Ein 14-köpfiges Gremium, präsidiert von ETH-Professorin Tanja Stadler, berät die Politik fortan in Covid19-Fragen.

Dem voraus gingen gleich mehrere Berichte, die im Nachgang zur akuten Covid-Krise verfasst wurden. Sie alle kommen zum Schluss, dass das Zusammenspiel zwischen Politik und Wissenschaft in der Schweiz generell besser werden muss. Die Bundeskanzlei schreibt gar von «dringlichstem Handlungsbedarf».

Die neue Task Force

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Seit Anfang November gibt es ein neues wissenschaftliches Beratungsgremium zu Corona, zunächst befristet bis 2023 . Die 14 beteiligten Wissenschaftler arbeiten ehrenamtlich, und das Gremium soll auf kantonaler und auf Bundesebene beraten. Zudem hat der Bundesrat die Bundeskanzlei beauftragt für die Zukunft Konzepte auszuarbeiten, wie Wissenschaft und Politik zusammenarbeiten können.

Den Graben schliessen

Wenn man bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nachfragt, hört man ähnliches. «Der Austausch funktioniert in vielen Bereichen nicht gut», sagt etwa Klimaphysiker Reto Knutti von der ETH Zürich. Der Graben zwischen wissenschaftlichem Faktenangebot und politischer Nutzungsbereitschaft sei immer noch gross. Knutti engagiert sich seit 15 Jahren in der Öffentlichkeit, um das Bewusstsein für die Klimakrise zu schärfen. Er berät zudem einzelne Politiker und war viele Jahre Mitglied des Weltklimarats (IPCC).

Wie kann der Graben zumindest kleiner werden? Um für akute Krisen und Notfälle besser gerüstet zu sein, schlägt Tanja Stadler ein permanentes kleines Netzwerk vor, das als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Politik fungiert. Um sich konstruktiv auszutauschen, sei Vertrauen zentral. Und das entstehe nur, wenn man sich kennt. Auf Basis dieses Netzwerks könne dann im Fall einer akuten Energiekrise, einer neuen Pandemie oder einer Cyber-Attacke rasch eine Taskforce aufgebaut werden.

Die Rolle der Task Force

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Biostatistikerin Stadler spricht aus Erfahrung. Sie hat zuletzt auch die Covid-19 Science Task Force geleitet, die Bundesrat und BAG beraten hat und im März aufgelöst wurde. Die Zusammenarbeit war zunächst schwierig. Man kannte sich nicht, das Rollenverständnis schärfte sich erst mit der Zeit: Die Taskforce verstand sich schliesslich als «ehrliche Maklerin», die den Stand des Wissens darlegt und verschiedene Handlungsoptionen ausbreitet. Was die Politik damit macht, welches Ziel sie verfolgt und welche Entscheide sie fällt, bleibt ihr überlassen. Dafür sind die Politikerinnen und Politiker gewählt.

Stadler und die anderen Taskforce-Mitglieder hätten davon profitiert, wenn sie auf die Gremiums-Arbeit besser vorbereitet gewesen wären. Die Ideenschmiede Reatch bietet inzwischen just das an. In Boot Camps lernen Forschende das politische System kennen sowie das Rollenverständnis, das mit wissenschaftlicher Politikberatung einhergeht.  Reatch wirbt generell dafür, dass sich mehr Wissenschaftler in den politischen Prozess einbringen.

«Unsere Vision ist, dass die politische Kommunikation Teil des Lehrplans an Schweizer Universitäten wird», sagt Luca Schaufelberger, Physiker und Vorstandsmitglied von Reatch. Und entsprechend anerkannt werde, wie Lehren und Forschen.

Die Fakten auf dem Tisch

Und auf Seite der Politik? «Sie muss akzeptieren, dass es Fakten gibt, die man nicht einfach vom Tisch wischen oder verneinen kann», sagt Reto Knutti, der seit 25 Jahren das Klima modelliert. Und Tanja Stadler: «Die Politik muss wissen, was die Wissenschaft leisten kann und was nicht.» Wissenschaft ist eben kein Orakel, Wissenschaft irrt, sie revidiert sich ständig. Aber deswegen ist sie nicht nutzlos.

Ich bin sehr getrieben von Fakten und rationalen Argumenten. Ich wäre unglücklich in der Politik.
Autor: Reto Knutti Klimaphysiker

«Hilfreich wäre natürlich auch, wenn mehr Wissenschaftler in die Politik gehen würden», weiss Reto Knutti. Um dann gleich nachzulegen, dass das für ihn keine Option sei. «Ich bin sehr getrieben von Fakten und rationalen Argumenten. Ich wäre unglücklich in der Politik.»

Wirklich einfach wird die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik wohl nie werden – an Bedeutung wird sie dennoch zunehmen.

Tanja Stadler im Interview

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Auf dem Bild ist Tanja Stadler zu sehen.
Legende: Keystone / Georgios Kefalas

Frau Stadler, wie kam es zur Idee einer Science Task Force?

Anfang 2020, als absehbar war, dass sich das Corona-Virus weltweit ausbreitet, hat der ETH-Bereich intern eine Task Force gebildet. Als etwas später die Schweiz schon erste, recht starke Massnahmen eingeführt hatte, haben die akademischen Institutionen der Politik angeboten, dass diese Task Force, erweitert um relevante Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Schweiz, sie unterstützen könnte.

Was war die Motivation?

Das Virus war neu, und die Wissenschaft hat viel getan, um das Virus schnell besser zu verstehen. Die Idee war: Wir stellen der Politik das grade gewonnene Wissen direkt zur Verfügung.

Es gab schnell heftige Auseinandersetzungen und die Forderung, die Wissenschaft solle sich bitte mehr zurückhalten. Was lief schief?

Im Herbst 2020 war das politische Umfeld stark aufgeladen, gleichzeitig hatten wir noch kaum direkten Kontakt zu den Parteien und den parlamentarischen Gruppen. In dieser Stimmung kam es aus der Wissenschaft zu einzelnen, öffentlichen Forderungen. Mit der Zeit haben wir den Austausch mit der Politik aufgebaut und begonnen, wirklich Evidenz darzulegen und intern zu besprechen, statt öffentlich zu fordern.

Nun soll die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik fest etabliert werden. Was braucht es, damit das gut läuft?

Für uns ist wichtig, dass die Politik jetzt auf uns, die Wissenschaft zugekommen ist, ich spüre echtes Interesse. Und dann braucht es klare Rollen, Strukturen und Prozesse. Und: Vertrauen und Beziehungen, die aufgebaut werden und gepflegt werden, so dass wirklich schon am Tag Eins einer Krise ein konstruktiver Dialog und Austausch möglich ist.

Das Gespräch führte Katrin Zöfel.

Nano, 30.11.2022, 11:05 Uhr

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