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Hightech in der Forensik Die besten Detektive sitzen im Labor

Forensiker setzen heute raffinierte Technik ein, um Verbrechen aufzuklären. Die Wunderwaffen sind aber nicht unfehlbar – und locken die Ermittler auch mal auf eine falsche Fährte.

Fast zwei Jahre lang hält die unbekannte Frau die deutsche Polizei auf Trab. Sechs Morde, zahlreiche Diebstähle, Überfälle und Einbrüche: An 40 Tatorten, verteilt über drei Länder und einen Zeitraum von 15 Jahren, stossen die Ermittler auf ihre DNA-Spuren.

Sie finden ihr Erbgut an einer Tasse in der Wohnung einer erdrosselten Dame. Auf einem angebissenen Keks in einem aufgebrochenen Wohnwagen. Und schliesslich in Heilbronn, im Auto einer erschossenen Polizistin, auf dem Beifahrersitz.

Die DNA eines Phantoms

Die DNA verrät: Es ist eine Frau. Sonst weiss man nichts. Keiner hat sie je gesehen. Die Polizei spricht von einer «unbekannten weiblichen Person». Die Medien nennen sie «das Phantom von Heilbronn».

Um die Frau zu finden, wird eine Sonderkommission gebildet. Für Hinweise setzen die Behörden 300'000 Euro Belohnung aus. Drei Mal berichtet die Fernsehsendung «Aktenzeichen XY» über den Fall.

Ohne Erfolg.

Dann, nach fast zwei Jahren ergebnisloser Ermittlungen, kommt ein Verdacht auf. Der fällt nicht auf einen Menschen aus Fleisch und Blut – sondern auf ein Wattestäbchen.

Tatort Wattestäbchenfabrik

Die Wattestäbchen, mit dem die Kriminaltechniker an den Tatorten die DNA-Spuren gesichert hatten, waren verunreinigt. Das «Phantom» war keine kaltblütige Killerin, sondern eine unschuldige, ahnungslose Mitarbeiterin eines Verpackungsunternehmens. Ihre Aufgabe war es, Wattestäbchen in Plastikröhrchen zu stecken. Dabei muss ihre DNA auf die Stäbchen gelangt sein.

Nahaufnahme eines Wattestäbchens in einer Plastikhülle
Legende: «Das Phantom von Heilbronn» war bloss ein Wattestäbchen. Die DNA stammte nicht von einer Täterin, sondern von der Frau, die das Stäbchen verpackte. imago images / imagebroker

Es ist der spektakuläre Fall eines Falles, der gar keiner ist. Für einmal waren die Ermittler Opfer geworden. Opfer ihrer hochsensiblen Ermittlungstechnik. «Hier stolperte die DNA-Analyse über ihre eigentliche Stärke: die hohe Sensitivität», sagt Christian Jackowski, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern.

Sensible DNA-Analyse

Gerade wegen ihrer Empfindlichkeit ist die Technik eines der wichtigsten Hilfsmittel, um Täter zu identifizieren. «Die DNA-Analyse ist aus dem Alltag der Kriminaltechnik nicht mehr wegzudenken», bestätigt Kriminaltechniker Markus Dubach von der Kantonspolizei Bern.

Die DNA verrät den Ermittlern einerseits das Geschlecht der gesuchten Person. Andererseits wird aus dem Erbmaterial ein «genetischer Fingerabdruck» ermittelt. Dafür werden Ausschnitte aus dem Erbgut in einen einzigartigen Code aus Zahlen und Buchstaben übersetzt.

«DNA lässt sich mit fast hundertprozentiger Sicherheit einer bestimmten Person zuordnen. Es gibt nur wenige Ausnahmen, bei denen das nicht möglich ist», so Rechtsmediziner Jackowski.

Wunderwaffe DNA-Analyse

Seit 33 Jahren dürfen die Schweizer Untersuchungsbehörden die DNA-Analyse nutzen. In dieser Zeit hat sie geholfen, unzählige Verbrechen aufzuklären.

Auch Fälle, die man längst aufgegeben hatte – wie jener von Brigitte Didier. Im Januar 1991 fand man die Leiche der 18-Jährigen bei Biel unter einer Autobahnbrücke.

Die junge Frau war vergewaltigt und mit zehn Messerstichen getötet worden. Vom Täter fehlte jede Spur. Es schien, als könne der Mord nicht aufgeklärt werden.

Dann geschahen zwei Dinge: Die DNA-Analyse wurde immer besser. Und im Jahr 2000 richtete das Bundesamt für Polizei eine DNA-Profil-Datenbank ein. Dort werden die genetischen Fingerabdrücke von Tätern und Verdächtigen erfasst.

Tatortspuren können so mit den gespeicherten DNA-Profilen abgeglichen werden. Das hilft vor allem, Taten von rückfälligen Kriminellen oder Serientätern zuzuordnen.

Die Polizei findet den Mörder – nach elf Jahren

So war es im Fall von Biel. Auf der Unterwäsche der getöteten Frau stellten die Ermittler das Erbgut eines Mannes sicher. Die Datenbank-Suche ergab einen Treffer. Brigitte Didiers Mörder sass bereits im Gefängnis, verurteilt für ein anderes Tötungsdelikt. Dort hatte man ihm eine DNA-Probe genommen.

Ein DNA-Code auf einem transparenten Plastikbend.
Legende: Fast jeder DNA-Code kann eindeutig zugeordnet werden. Ermittler vergleichen eine Probe daher mit der Profil-Datenbank. Getty Images / Andrew Brooks

Dank DNA-Analyse und Profil-Datenbank können laut Bundesamt für Polizei mehrere Fälle pro Tag geklärt werden – belastend oder entlastend. 2017 gab es über 5700 Übereinstimmungen von Tatortspuren und Datenbank-Profilen. 70 davon betrafen Tötungsdelikte.

DNA-Phänotypisierung könnte mehr Hinweise liefern

So schlagkräftig die DNA-Analyse ist: Wenn es keinen Vergleichswert in der Datenbank oder von einem Verdächtigen gibt, ist sie nutzlos.

Dabei könnte die DNA viel verraten. Sie trägt die Gene, welche einen Grossteil der persönlichen Merkmale bestimmen. Die Augen- oder Haarfarbe zum Beispiel. Aber auch Hinweise auf die ungefähre geografische Herkunft.

In der Schweiz ist es per Gesetz verboten, sichergestellte DNA inhaltlich auszuwerten und Rückschlüsse auf die gesuchte Person zu ziehen. Eine geplante Gesetzesänderung könnte diese sogenannte DNA-Phänotypisierung künftig allerdings erlauben.

Das Phantombild aus dem Labor?

Doch auch wenn das Gesetz geändert wird: Persönliche Merkmale aus der DNA auszulesen, ist nicht einfach. Rechtsmediziner Christian Jackowski warnt vor zu hohen Erwartungen. Mit der Phänotypisierung seien nur Aussagen zu Wahrscheinlichkeiten möglich: «Man wird zum Beispiel sagen können, dass man eine Person sucht, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 65 Prozent blonde Haare hat.»

Die Vorstellung, aus dem Erbgut ein Phantombild ableiten zu können, sei noch sehr fern von den realen Möglichkeiten. Denn da müsste man sich ja festlegen, ob man der gesuchten Person im Bild nun blonde Haare gebe oder nicht.

Gummihandschuhe halten einen Fingerabdruck unter eine Lampe
Legende: Trotz DNA-Analyse ist der Fingerabdruck nach wie vor ein wichtiges Instrument für die Aufklärung von Verbrechen. Getty Images / Monty Rakusen

Auch wenn die Hoffnungen und der Fokus der Forensik aktuell auf den Möglichkeiten der DNA-Analyse liegen: Andere Spuren sind für Kriminaltechniker ebenso wichtig. Schuh- oder Werkzeugspuren zum Beispiel. Und natürlich der Fingerabdruck. «Das ist immer noch eine der ‹Königsspuren›», sagt Markus Dubach von der Berner Kantonspolizei.

Seit über 100 Jahren gehört die Analyse von Fingerabdrücken zum forensischen Inventar. Die Linienmuster auf den Fingerkuppen sind von Mensch zu Mensch verschieden und bleiben ein Leben lang unverändert.

Was der Fingerabdruck auch verrät

Manchmal ist der altbewährte Fingerabdruck der modernen DNA-Analyse sogar überlegen. Er kann nicht nur eine Person identifizieren, sondern auch andere Arten von Hinweisen liefern. «Aus den Fingerabdrücken auf einer Flasche zum Beispiel kann man auch Rückschlüsse ziehen, wie eine Person die Flasche in der Hand gehalten hat», erklärt Kriminaltechniker Dubach.

Der Fingerabdruck ist einmalig. Das ist perfekt, um jemandem eine Spur zuzuordnen. Ist der Abdruck aber verschmiert, verzerrt oder nur bruchstückhaft, wird er schwierig zu interpretieren. Dann passieren auch Fehler – sogar beim FBI.

Ein halber Abdruck führt das FBI in die Irre

Nach dem Terroranschlag auf Pendlerzüge in Madrid 2004 wurden Fingerabdrücke sichergestellt. Sie waren allerdings von schlechter Qualität. Das FBI wertete nur den Bruchteil eines Abdrucks aus – und fand einen Treffer in ihrer Datenbank. Die US-Sicherheitsbehörde war sich zu 100 Prozent sicher: Die Spur stammt vom US-Amerikaner Brandon Mayfield. Der zum Islam konvertierte Anwalt wurde festgenommen.

Kurz darauf meldete die spanische Polizei ebenfalls einen Treffer. Der Fingerabdruck gehöre einem Algerier. Die Spanier lagen richtig, Mayfield hatte mit den Attentaten nichts zu tun. Wie kam das FBI auf den falschen Verdacht?

Die Spezialisten, die Mayfields Fingerabdrücke mit der Tatortspur verglichen, waren wohl nicht unvoreingenommen. Man vermutet, dass etwa die Information zu Mayfields muslimischem Glauben die FBI-Ermittler beeinflusst hat.

Um solche Fehler zu vermeiden, werden heute Angaben zur Tat und zur Person strikt von den Fingerabdrücken getrennt. Die Spezialisten sollen sich einzig und allein auf den Vergleich der verschlungenen Linienmuster konzentrieren.

Rekonstruktion der Tat in der virtuellen Realität

Wollen Forensiker herausfinden, wie sich ein Verbrechen oder ein Unfall zugetragen hat, setzen sie heute auf modernste Bildtechnologien: vom 3-D-Scanning bis zur virtuellen Realität. 3-D-Rekonstruktionen seien heute fester Bestandteil aufwendiger Untersuchungsverfahren, sagt Rechtsmediziner Jackowski.

Bei Tötungsdelikten etwa wird versucht, mit dreidimensionalen Daten herauszufinden, ob ein Tatwerkzeug und die Wunde eines Opfers zusammenpassen.

Die computergenerierten Bilder werden immer realistischer. Bei der Visualisierung von möglichen Tathergängen kann das problematisch sein. Rechtsmediziner Jackowski warnt davor, Tat-Hypothesen zu realistisch darzustellen: «Mittlerweile kann man so realitätsgetreu visualisieren, dass der Laie den Eindruck gewinnt, es seien Filmaufnahmen des realen Tathergangs.»

Das perfekte Verbrechen – bald unmöglich?

Dank wissenschaftlichem und technischem Fortschritt stehen immer raffiniertere Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Könnte bald der Tag kommen, an dem kein Verbrechen ungesühnt bleibt?

«Wir wissen heute nicht, welche wissenschaftlichen Methoden uns in 20 Jahren zur Verfügung stehen werden», sagt Kriminaltechniker Markus Dubach. «Aber ich glaube, dass die Möglichkeit, ein sogenannt perfektes Verbrechen zu begehen, in Zukunft kleiner wird.»

Rechtsmediziner Christian Jackowski geht nicht davon aus, dass man künftig jede Tat klären kann: «Weil man nie alles machen können wird, was denkbar und wissenschaftlich möglich wäre, wird auch das perfekte Verbrechen in zehn Jahren noch möglich sein.»

Auch wenn die forensischen Untersuchungsmethoden immer besser werden – unfehlbar sind sie nicht.

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