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Hoffnung für Gelähmte «Aber mit dem Rollstuhl bin ich immer noch viel schneller»

David Mzee ist zurzeit auf Stellensuche – als Turn- und Sportlehrer. Trotz Rollstuhl hat er die anspruchsvolle Ausbildung abgeschlossen und auch schon an einer Schule zur Probe unterrichtet.

«Es hat sehr lange gedauert, bis ein Schüler überhaupt einmal nachgefragt hat wegen des Rollstuhls und wie es dazu kam, dass ich gelähmt bin», erinnert er sich lachend.

Verhängnisvoller Salto

Es war ein Sportunfall, vor acht Jahren. In der Sportlehrerausbildung standen Geräteturnen und Akrobatik auf dem Programm. «Dann machten wir Sprünge, Zweifach-, Dreifachsaltos. Beim letzten bin ich unglücklich gelandet, in der Schnitzelgrube zwar... aber zwei Halswirbel waren kaputt», lässt David Mzee den verhängnisvollen Moment noch einmal Revue passieren.

Nach einiger Zeit im Rollstuhl bekam der 33-Jährige die Chance, an einer Studie der EPFL Lausanne und des Unispitals CHUV mitzumachen. Das Ziel: Menschen mit Lähmungen Schritte zu ermöglichen.

David Mzee hatte Glück im Unglück. Für die Studie wurden inkomplett gelähmte Patienten gesucht. Solche wie er. Einige Fasern in seinem Rückenmark waren nach dem Unfall intakt geblieben. Nervenbahnen, bei denen die Chance bestand, sie neuerlich zu aktivieren für die Kommunikation zwischen Hirn und Bein.

Von der Ratte zum Menschen

Grégoire Courtine, international bekannter Forscher und Neurowissenschaftler an der EPFL, treibt das Projekt schon seit Jahren voran. Zunächst wurde gelähmten Ratten wieder auf die Beine geholfen, mit Medikamentenspritzen ins Rückenmark, elektrischer Stimulation und wochenlangem Training.

Die elektrische Stimulation erfolgt über implantierte Elektroden-Plättchen. David Mzee war einer der ersten Menschen, der solche eingepflanzt erhielt.

Auf die Operation am Unispital Lausanne CHUV durch die Neurochirurgin Jocelyne Bloch folgte ein langer Reha-Prozess: «Zuerst machten wir das ‹Functional Mapping›», erinnert sich Mzee. «Ich lag da, und dann kommen die einzelnen Impulse. Das war spannend.» Dann wurde geprüft, ob die Muskelgruppen wie gewünscht auf gesetzte Impulse reagieren. «Das war weniger spannend – aber cool, zu spüren, wie sich die Impulse anfühlen.»

Maximal anstrengende Aufgabe

Die ersten Schritte waren für David Mzee ein eindrückliches Erlebnis. Schnell machte er Fortschritte, aber trotz der Stimulierung war enorm viel Konzentration erforderlich: «Es ist schwierig zu beschreiben. Einen Teil macht die Elektrode, ein Teil wird vom Kopf angesteuert.» Kein Schritt passiert einfach so, stets ist bewusstes Denken mit im Spiel.

Dies in Einklang zu bringen, erlebte Mzee als ebenso geistig anspruchsvoll wie körperlich anstrengend. «Eine Maximalkraft-Aufgabe, nahe am Limit dessen, was überhaupt geht!»

Mit der Zeit kamen Gefühle zurück, die er seit dem Unfall nicht mehr kannte. «Ich spüre Berührungen, wenn auch ein bisschen dumpfer.» Das war also nicht gänzlich neu. «Aber dass meine Beine ungefähr das machen, was ich will – das war das spezielle Feeling.» David Mzees Hirn war wieder mit den Beinen verbunden.

Nach und nach konnte er bis zu zwei Kilometer am Stück gehen, irgendwann sogar ohne elektrische Stimulation. Die Forscher vermuten, dass sich neue Nerven-Verbindungen gebildet haben im Rückenmark – ein interessanter Erfolg.

Fünf Monate Training hatte David Mzee in Lausanne, bis das gelang. Dann musste er Platz machen für neue Patienten der Studie, konnte aber sechs weitere Monate am Paraplegikerzentrum Balgrist trainieren.

Im Alltag bleibt der Rollstuhl praktischer

Was hat ihm das Ganze gebracht? «Im Alltag merke ich es nicht so gross», relativiert Mzee. Am meisten beim Schlafen. «Wenn ich mich im Bett drehen will, wache ich weniger oft auf.» Früher musste er die Beine dafür von Hand in die gewünschte Position schieben, nun geht es ein Stück weit von alleine.

Auf seine Fortbewegung hat der Therapieerfolg weit weniger Einfluss: «Mit dem Rollstuhl bin ich immer noch viel schneller und effizienter unterwegs. Mit dem Rollator habe ich die Hände weniger frei.» Nicht sehr praktisch, wenn man beispielsweise einen Teller mit Essen halten möchte.

Der grösste Fortschritt ist das neue Körpergefühl. «Der ganze Körper wird gefordert, man ist müde, erschöpft, aber auch zufrieden. Ein Gefühl, wie ich es von früher kannte.» Und Mzee schwitzt wieder. Der Unfall hatte ihm diese wichtige Körperfunktion genommen.

Träumt David Mzee noch davon, eines Tages selber gehen zu können? «Eine schwierige Frage», meint er nachdenklich. «Ich bin bereit, weiter zu trainieren. Wohin das führt, werden wir sehen.»

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