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«Human Placenta Project» Die Plazenta – eine Herausforderung für die Forschung

Ohne die Plazenta gäbe es keine Babys. Sie ist ein wichtiges, temporäres Organ. Dennoch wissen Forscher viel zu wenig darüber. Das «Human Placenta Project» in den USA soll nun Abhilfe schaffen, denn auch schwere Erkrankungen könnten mit ihr in Verbindung stehen.

Der Plazenta – auch Mutterkuchen genannt – haftet etwas mythisch Rätselhaftes an. In einigen afrikanischen und asiatischen Kulturen gilt sie als Geist oder als Zwilling des Neugeborenen und wird in Ehren bestattet. Hierzulande herrscht vereinzelt der Brauch, die Nachgeburt zu vergraben und an der Stelle ein Bäumchen zu pflanzen. Und in den USA und Europa verzehren neuerdings einige Mütter ihre Plazenta nach der Geburt – teils mit etwas Knoblauch zubereitet. Der medizinische Nutzen dahinter ist jedoch fraglich.

Lückenhaftes Wissen

Catherine Spong wäre es lieber, sie fände die Plazenta ein bisschen weniger rätselhaft. Die Gynäkologin leitet das kürzlich ins Leben gerufene «Human Placenta Project». Die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA reservierten für acht bis neun Projekte über die nächsten vier Jahre 41,5 Millionen Dollar – eine beachtliche Summe für ein ehrgeiziges Ziel.

Eine Zeichnung zeigt ein Baby, das über die Nabelschnur mit dem Mutterkuchen verbunden ist.
Legende: Grosser Aufwand, grosse Ziele: Die Einsichten aus dem Forschungsprojekt dürften nicht nur Babys helfen. PD

«Wir brauchen eine präzise Chronologie, wie sich eine gesunde Plazenta strukturell und funktionell über den gesamten Zeitraum der Schwangerschaft entwickelt», sagt Spong. Denn nur wenn man die normalen Entwicklungsstufen genau kennt, lassen sich Störungen schon im Keim identifizieren und beheben.

Hürden für die Diagnose

Doch der Weg dahin dürfte steinig werden, wie die Gynäkologin selbst weiss: «Da man an die Plazenta nun einmal schwer herankommt und natürlich nichts dem Fötus schaden darf, müssen wir uns neue Technologien einfallen lassen.»

Soviel weiss man: Eine gesunde Plazenta nach der Geburt eines Babys wiegt etwa ein halbes Kilogramm. Sie ist drei Zentimeter dick und misst im Durchmesser zwischen 15 und 20 Zentimeter. Diese Nachgeburt kann man im Labor bestens studieren und analysieren.

Aber: Solche Analysen liefern – wie ein Schnappschuss – nur Informationen von eben diesem Zeitpunkt. Und ein jüngerer Mutterkuchen nach einer Fehlgeburt sei nicht hilfreich, so Spong, weil er sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht normal entwickelt habe.

Störungen als spätere Krankheitsursache

Eine besonders gefürchtete, lebensbedrohende Krankheit während der Schwangerschaft – die Präeklampsie – dürfte zumindest zum Teil durch eine Fehlentwicklung der Plazenta verursacht sein. Bei dieser Schwangerschaftsvergiftung leidet die werdende Mutter an Bluthochdruck; in ihrem Urin findet sich Eiweiss.

Auch bei der Schwangerschafts-Diabetes vermutet man einen Zusammenhang mit dem Mutterkuchen. Sie birgt zudem die Gefahr von Spätfolgen: Mutter und Kind sind noch nach Jahren diabetes-gefährdet.

Zudem identifizierten Forscher an der University of Southampton mögliche Langzeitfolgen, wenn die Plazenta sich nicht normal entwickelt – aus detaillierten Daten von mehr als 12‘000 Menschen, die zwischen 1934 und 1944 in Helsinki geboren waren, inklusive Informationen zu Form, Gewicht und Beschaffenheit der Plazenta. Ein Hinweis: Bei Männern, die später an einem plötzlichen Herztod starben, war die Plazenta besonders dünn gewesen.

Neue bildgebende Methoden nötig

Wie aber kann man die Plazenta schon im Mutterleib so im Detail untersuchen, ohne die Entwicklung des Fötus zu beeinträchtigen? Der gute alte Ultraschall, den man zur Schwangerschaftskontrolle einsetzt, sei zwar eine sichere, aber eine zu grobe Methode, meint Antonio Frias, der an der Oregon Health & Science University mit bildgebenden Diagnoseverfahren experimentiert. «Idealerweise fällt uns eine Methode ein, die ohne Kontrastmittel auskommt», sagt er, «denn Markierungsstoffe sind für den Fötus potenziell riskant.»

Gefragt ist ausserdem eine Technologie, die mehrere Prozesse im Körper gleichzeitig beobachten kann: etwa die Durchblutung und die Versorgung mit Nährstoffen. Daraus könnte man wiederum ableiten, welche Folgen bestimmte Eigenheiten oder Verhaltensweisen der Mutter haben für den Embryo haben: sei es Fettleibigkeit, schlechte Ernährung oder Rauchen.

Eine grosse Herausforderung

Die Forscher vergleichen das «Human Placenta Project» gerne mit den derzeit laufenden grossen Initiativen zur Hirnforschung. Und es gibt in der Tat Parallelen: In beiden Fällen suchen Forscher nach neuen Forschungs- und Untersuchungsmethoden. Und: Sowohl mit dem Gehirn als auch mit der Plazenta samt Fötus muss man sehr behutsam umgehen. Schon der kleinste Fehler kann schwerwiegende Folgen haben.

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