- In ihrem neuen Buch untersucht die Neurowissenschaftlerin Tali Sharot, wie wir Entscheidungen treffen und Ansichten entwickeln.
- Anhand von Alltagssituationen zeigt das Buch, wie man die Meinung von Mitmenschen beeinflussen kann.
- Positive Manipulation funktioniert etwa dann, wenn man die Überzeugungen des Gegenübers einschätzt und sich daran anpasst.
Stellen Sie sich vor: Sie sitzen beim gemütlichen Abendessen im Freundeskreis, die Diskussionen werden immer hitziger. Verzweifelt versuchen sie, die anderen von Ihrer Meinung zu überzeugen. Aber trotz stichhaltigsten Argumente schlägt sich niemand auf ihre Seite.
Sie selber können wiederum mit den Argumenten der anderen nichts anfangen. Woran liegt das? Wie kann man andere beeinflussen? Was entscheidet, ob das Denken anderer uns beeinflusst?
Alltägliche Meinungsmache
Die israelische Psychologin und Neurowissenschaftlerin Tali Sharot beantwortet diese Fragen in ihrem neuen Buch «Die Meinung der anderen».
Anhand eigener Forschungsergebnisse und verblüffender Beispiele aus dem Alltag analysiert sie die Hirnmechanismen, die hinter unseren Ansichten stecken.
Belohnung statt Bedrohung
Da wäre zum Beispiel die altbekannte Diskussion ums Rauchen. Sharot zeigt auf, dass man eine Person eher dazu bringen kann, einen Rat zu befolgen, wenn man ihr ein unmittelbares, positives Feedback anbietet, statt einer Warnung vor negativen Folgen in ferner Zukunft.
Tali Sharot: «Anstatt einem Jugendlichen zu sagen, dass er Krebs bekommt, wenn er raucht, sollte man eher sagen, dass er es ins Basketballteam schafft, wenn er nicht raucht. Oder dass das Mädchen, das er anhimmelt, dem Vernehmen nach auf Nichtraucher steht.»
Die Experimente in ihrem Buch bestätigen: Unser Gehirn reagiert eher auf reale Belohnung, statt auf potentielle Bedrohung.
Kontrolle über Kontrolle der anderen
Ein weiteres Mittel bei der Beeinflussung ist das Überlassen von Handlungsmacht. Die paradox klingende Botschaft im Buch lautet denn auch: Um das Handeln anderer zu beeinflussen, muss man ihnen das Gefühl geben, die Kontrolle zu besitzen.
Denn Kontrolle schafft Sicherheit. Für unsere Schaltzentrale im Schädel eines der wertvollsten Güter.
Als Beispiel nennt Tali Sharot den alltäglichen Umgang mit ihren Kindern: «Wenn ich es meiner Tochter überlasse, was in den Salat gehört und was nicht, gebe ich ihr ein Gefühl von Kontrolle. Darüber hinaus lasse ich ihr auch die Wahl, ob sie mitbestimmen möchte oder nicht. Und siehe da: Meine Tochter isst viel öfter ihren Salat auf.»
Vorsicht also, wenn Ihnen jemand zu viel Kontrolle gibt. Womöglich übt diese Person dadurch erst recht Kontrolle über Sie aus!
Positive Manipulation?
Das Buch von Tali Sharot könnte man auch als Anleitung zu mehr Macht durch Manipulation verstehen. Die Neurowissenschaftlerin lässt diese Kritik jedoch nicht gelten: «Das Ziel des Buches ist zu zeigen, wie viel wir heute darüber wissen, wie unser Geist funktioniert. Im Spezifischen in Bezug auf die Meinungsbildung. Deshalb betreiben wir auch Wissenschaft – die Menschen haben ein Recht darauf, den Stand der Dinge zu kennen. Jedes Wissen kann missbraucht werden, aber es kann auch dazu verwendet werden, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.»
Das Gehirn bestimmt
Die Anatomie der Meinungsbildung kommt im Buch nicht zu kurz: Die Amygdala, der Frontallappen und der Hippocampus sind die Hirnregionen, in denen viele Entscheidungen stattfinden.
Mit Hilfe dieses Wissens kann man in Experimenten sogar vorhersagen, wie sich Menschen in bestimmten Fragen in naher Zukunft eher entscheiden werden.
Empathie als Schlüssel
Für den Alltag nennt die Psychologin in ihrem Buch eine goldene Regel: «Man muss sich bewusst machen, welche Überzeugungen das Gegenüber hat, wofür es einsteht und was ihm emotional am Herzen liegt. Dann kann man diese Faktoren in seine Argumentation miteinbeziehen und neue Perspektiven anbieten, die den vorhandenen Überzeugungen des Gegenübers nicht widersprechen.»
Keine Revolution, aber praktisch
Das Buch «Die Meinung der anderen» bringt keine revolutionären Erkenntnisse der Psychologie zu Tage. Jedoch holt es die Mechanismen der Beeinflussung vom Theoretischen ins Praktische – indem es die Experimente an alltägliche Situationen koppelt.
Die Lektüre des Buches könnte sich also beim nächsten Abendessen mit Freunden durchaus positiv auf Ihre Überzeugungskraft auswirken.
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 24.5.17, 22:25 Uhr